Eine Dampferfahrt von der „Grobe-Gottliebs-Station“ in Konradshöhe nach Tegel

Der heimatkundliche Rückblick führt uns in die Sommerzeit des Jahres 1892. In Berlin hatte sich eine Gruppe von 20 Personen zu einem Ausflug in die nördliche Umgebung der Stadt verabredet. Treffpunkt war die am Bahnhof Friedrichstraße gelegene Weidendammer Brücke, um von dort mit der Pferdestraßenbahn nach Tegel zu fahren. Nun folgte eine Wanderung durch den Wald. Ziel war Konradshöhe.

Amtsblatt2Die Ansiedlung war zu dieser Zeit den Berlinern noch weitgehend unbekannt. Am 22.3.1865 hatte der Kupferschmiedemeister August Friedrich Theodor Rohmann aus der Berliner Auguststraße 49a von dem Heiligenseer Bauern Christian Friedrich Lemcke für 3000 Mark Land erworben, um darauf – zunächst ohne Baugenehmigung – eine größere Kupferschmiede zu errichten. Später, am 20.10.1868, genehmigte die Königliche Regierung zu Potsdam, dass Rohmanns Gehöft mit etwa 45 Morgen Areal nach dem ältesten Sohn des Kupferschmiedemeisters den Namen „Conradshöhe“ führen durfte. Nach 25 Jahren gab Rohmann aus wirtschaftlichem Grund sein „Dampfwerk für eiserne Verschraubungen und Apparatringe“ auf. Nun entstand 1891 auf dem Gelände an der einmal nach Rohmann benannten Straße (heutige Falkenhorststraße) eine Gaststätte für Ausflügler. Sie hieß zunächst „Konradshöher Terrassen“, zuletzt bis zum Abriss 1979 „Feengrotte.“

Rohmann hatte schnell erkannt, dass er für seine Gäste auch eine Dampferbrücke benötigte, die in den Dampferfahrplan als Station mit aufgenommen werden musste. Sowohl die Errichtung der Brücke auf seinem Grund und Boden wie auch die Einbeziehung in den Fahrplan waren kein Problem. Doch der Restaurateur hatte eine falsche Vorstellung von der Nutzung der Brücke. Da sie auf seinem Anwesen lag und ihm gehörte, war er der Meinung,  dass sie auch nur seine Gäste benutzen dürften. Jedem, der nichts bei ihm verzehrte, glaubte er das Betreten der Brücke verbieten zu dürfen.

Dieses Verbot traf nun in schroffer Weise unsere 20-köpfige Wandergruppe. Sie hatte nichts bei Rohmann gegessen, wollte aber den bereits wartenden Dampfer über die Dampferbrücke betreten. Während sich die Gesellschaft nicht zurückhalten ließ, rief ihnen der Wirt nach, er wolle sie mit Hunden hetzen oder gar niederschießen.

Welches Gesprächsthema bei der Dampferfahrt nach Tegel und sicher auch bei der anschließenden Fahrt in der überfüllten Straßenbahn nach Berlin vorherrschte, kann man sich bestimmt vorstellen. Unter den Ausflüglern war ein Redakteur einer Berliner Zeitung. Es wurde abgesprochen, dass er in der Zeitung unter „Eingesandt“ zur Warnung anderer Besucher den Vorfall schildern sollte. Einer der Teilnehmer der Gruppe sollte seinen Namen unter den beabsichtigten Text setzen. Der Abdruck geschah am 7.8.1892. Von einem sicher ironisch gemeinten „liebenswürdigen Wirt“ und einer „Grobe-Gottliebs-Station“ war die Rede.

Conradshöher TerrassenRohmann reichte prompt Klage beim Amtsgericht I in Berlin ein gegen die Person, die den Leserbrief unterschrieben hatte. In einem ersten Termin stellte sich der Wahrheitsgehalt des „Eingesandt“ heraus. Zusätzlich kam heraus, dass Rohmann schon einmal eine Gesellschaft mit Frauen und Kindern am Betreten des Dampfers hinderte. Diese Gruppe musste dadurch eine Nacht in einer Scheune zubringen. Das Gericht kam zu der Auffassung, der Kläger habe mit der Aufnahme in den öffentlichen Fahrplan sich des Rechts begeben, willkürlich über die Dampferbrücke zu verfügen. Gleichwohl musste der Beklagte wegen Beleidigung des Restaurateurs verurteilt werden. Das Urteil lautete aber nur über 3 Mark Geldstrafe.

Trotzdem legte der Verurteilte Berufung ein. Rechtsanwalt Dr. Schoeps machte für seinen Mandanten geltend, dass dieser gar nicht den Leserbrief geschrieben hatte. Vielmehr handelte es sich bei dem „Eingesandt“ um den Wortlaut eines „redakteurlichen Herzensergusses“. Dem Redakteur wurde nur die Genehmigung erteilt,  den Namen eines der Ausflügler zu benutzen. Dieser Sachverhalt war neu und erwies sich als richtig.  Das Berufungsgericht sprach deswegen den in erster Instanz Beklagten frei. Dem ursprünglichen Kläger, also Rohmann, wurden nun die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Zeitungsredakteur konnte (im April 1895) nicht mehr strafrechtlich belangt werden, weil die Angelegenheit bereits verjährt war.

Mit dem Ergebnis konnte Rohmann natürlich nicht zufrieden sein. Ihm waren 74,45 M. Gerichtskosten, 97,70 M. Anwaltskosten und 1,50 M. Vollmachtsstempel-Gebühren, zusammen also 173,65 M. Unkosten entstanden. Den Betrag klagte er jetzt von dem zuvor Freigesprochenen ein mit der Begründung, dass zwischen dem Redakteur und dem angeblichen Artikelschreiber ein abgekartetes Spiel bestand. Er, Rohmann, sollte bewusst auf eine falsche Fährte gelenkt und zur Klage veranlasst. Durch Hinhalten sollte dann die Sache so lange verzögert werden, dass der schuldige Redakteur nicht mehr belangt werden könne.

Rechtsanwalt Dr. Schoeps bestritt natürlich die unterstellte Arglist. Er verwies darauf, dass  über die Kostenfrage bereits rechtsgültig entschieden wurde. Zudem warf er dem Kläger (Rohmann) ein grobes Versehen vor,  weil er im ersten Verfahren nicht den Redakteur sondern den (vermeintlichen) Schreiber des Leserbriefes beklagt hatte. Das Gericht wies Rohmanns Klage ab. Zudem wurden dem Gastwirt die Kosten des Verfahrens auferlegt und das Urteil für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das Gericht erklärte, dass das erste Strafurteil auch hinsichtlich der Kostenpunkte alle am Verfahren Beteiligte binde.

Im Ergebnis wurden mithin drei Gerichtsverfahren betrieben, dessen erstes Urteil Rohmann zwar Recht gab. Trotzdem musste er die entstandenen nicht unerheblichen Kosten selbst tragen.

Gerhard Völzmann