Tegeler Ballonfahrten mit Automobilverfolgung vor 105 Jahren

Der Berliner Verein für Luftschiffahrt wurde im Jahre 1881 gegründet, konnte mithin im Jahre 1906 sein 25-jähriges Jubiläum feiern. Vereinslokal war der „Klub der Landwirte“ in der Dessauer Str. 14. Hier trafen sich die Vereinsmitglieder an jedem letzten Montag eines Monats um 19.30 Uhr zur Sitzung. Während der Geheime Regierungsrat Professor Busley den Vorsitz führte, war Alfred Hildebrandt, Hauptmann beim Luftschiffer-Bataillon in Tegel, als Schriftführer tätig. Vermutlich war es Hildebrandt, der den Vereinsmitgliedern vorschlug, zum Jubiläum eine besondere öffentlichkeitswirksame Veranstaltung in Form von Ballonfahrten durchzuführen, die von Automobilen verfolgt werden sollten. Dabei sollten die Autos in vorgeschriebener Zeit den jeweiligen gelandeten Ballon erreichen.

Das Wetter mit Temperaturen von 6° C morgens und 12° C mittags war sicher nicht schuld daran, dass die für Mittwoch, den  10.10.1906 geplante Veranstaltung unter keinem guten Stern stand. So wurde Hauptmann Hildebrandt, der als sportlicher und organisatorischer Leiter des Wettbewerbs fungierte, vormittags noch vor Beginn der Jubiläumsfahrten direkt vor der Kaserne des Luftschiffer-Bataillons von einer Automobil-Droschke angefahren. Durch den Unfall erlitt er einen Bruch des linken Fußes. Der Hauptmann ließ sich aber nicht davon abbringen, trotzdem den Aufstieg der Ballons zu leiten, um sich erst dann mit einem Auto in seine Wohnung in der Charlottenburger Kirchstr. 2 bringen zu lassen.

Der erste Ballon mit einem weißen Erkennungszeichen wurde pünktlich um 12.30 Uhr abgelassen. Der 1200 m³ Gas fassende Ballon stand unter der Leitung des Hauptmanns von Schulz und nahm, der Windrichtung entsprechend, Fahrt in Richtung Havel auf. Er war noch lange zu sehen. Allerdings mag sich die Zahl der Zuschauer in Grenzen gehalten haben, denn es war ja kein Sonntag, der zu Ausflügen einlud.

Ballonfahrt

Mit dem Ballonaufstieg starteten zugleich 5 Automobile, deren Insassen bis auf eine Person alle Freiherrn oder Doktoren waren oder einen militärischen Rang innehatten. Nach 10 Minuten stieg der Ballon „Nachtigall“, von Hauptmann Neumann geführt, auf. Der mit einem roten Erkennungszeichen versehene Ballon hatte ein Fassungsvermögen von 700 m³ Gas. Er schwebte ebenfalls in Richtung seines Vorgängers. Sofort starteten 4 Autos zur Verfolgungsjagd.

Erneut 10 Minuten später stieg der Ballon „Möwe“ mit seinem gelben Erkennungszeichen unter Führung von Oberleutnant George in den Himmel. Der gleichfalls 700 m³ Gas fassende Ballon wurde von 4 Autos verfolgt. Als letztes Luftfahrzeug verließ dann um 13 Uhr die „Lerche“ (700 m³) mit blauem Zeichen den Tegeler Schießplatz.

Kurz nach 13 Uhr ereignete sich ein Auto-Unfall. Das Automobil des Direktors Sierse aus Hannover, in dem auch Freiherr von Schleinitz als „Unparteiischer“ saß, verfolgte den Ballon „Nachtigall“. Es hatte gerade Schloss Tegel passiert, als es auf der Chaussee in Richtung Velten kurz vor Schulzendorf in schneller Fahrt auf einer glatten Stelle der Fahrbahn schleuderte und mit einem Rad in den Straßengraben geriet. Der vordere Teil des Autos flog gegen einen Baum und zertrümmerte, während 4 Insassen aus dem Fahrzeug fielen. Chauffeur Gustav Brandt wurde mit gebrochenem rechten Schenkel zwischen Baum und Autotrümmern eingeklemmt. Karl Hintze zog sich eine tiefe Wunde über dem rechten Auge und eine schwere Gehirnerschütterung zu, er war zeitweise bewusstlos. Nur gut, dass in Tegel, Hauptstr. 3 der praktische Arzt Dr. A. Ehlert erreichbar war. „Bis auf weiteres“ blieben hier die Unfallopfer.

Doch wie ging die Jubiläumsveranstaltung aus? Sieger waren die Ballonfahrer. Alle 4 Ballons landeten sicher, und zwar zwei bei Wittstock/Dosse, einer bei Wusterhausen und einer bei der Ortschaft Buschhof. Nur dem Automobil des de la Croix gelang es, den Ballon „Lerche“ in der vorgeschriebenen Zeit nördlich von Wusterhausen einzuholen. Mehrere Automobilfahrer mussten hingegen aus der Umgebung von Neuruppin, Wittstock und Wusterhausen die Aufgabe der Verfolgung bekanntgeben.

Die einzelnen Meldungen über die Ergebnisse trafen gegen 20 Uhr in Berlin ein. Die Preisverleihung fand im Zoologischen Garten statt. Sie wurde trotz seiner Verletzung von Hauptmann Alfred Hildebrandt (!) vorgenommen.

Gerhard Völzmann

Ballonfahrt2

Die Abbildung vermittelt einen Eindruck vom Areal des Luftschiffer-Bataillons auf dem Tegeler Schießplatz