Warum sich Gastwirt Hanuschke über das Gaslicht ärgerte

Ein Blick in das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts lässt die vielen Neuerungen und Veränderungen erkennen, die sich in Tegel zutrugen. Zu erwähnen sind u. a.

  • die Gründung einer freiwilligen Feuerwehr (1890),
  • die Eröffnung der Eisenbahn nach Kremmen mit einem Bahnhof in Tegel (1893),
  • die Erlangung der Selbstständigkeit der bisher zu Dalldorf gehörenden Kirchengemeinde (1894),
  • die Gründung der Freien Scholle in Berlin (1895),
  • der Bau und die Inbetriebnahme eines Gaswerkes (1896),
  • die Errichtung eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals (1897),
  • der Bau einer Strafanstalt durch die Stadt Berlin, die Verlegung der Firma Borsig von Moabit nach Tegel, die Erweiterung des Rathauses, der Bau eines Wasserwerkes und die erstmalige Aufnahme der Einwohner der Gemeinde Tegel in das Berliner Adressbuch (1898) sowie
  • die Umstellung der Pferdestraßenbahn auf elektrischen Betrieb (1899).

Ende 1897 gab es in Tegel 25 Gaststätten. Eine von ihnen befand sich im Eckhaus Schlieperstraße 27 / Schöneberger Str. 63 (heutiger Medebacher Weg). Sie wurde von Heinrich Hanuschke betrieben. Einige Stationen seines Lebensweges soll der folgende kleine heimatkundliche Beitrag aufzeigen.

Restaurant Hanuschke

Abbildung aus dem Jahre 1905

Hanuschke erblickte am 9.9.1855 in Schlesien das Licht der Welt. Im Jahre 1871 meldete er sich als Freiwilliger bei den „braunen Husaren“, die in Ohlau / Schlesien stationiert und 1870 / 71 gegen Frankreich eingesetzt waren. Wann Hanuschke nach Tegel zog, ist nicht bekannt. Nach einer Tätigkeit als Kutscher auf dem Tegeler Gut machte er sich selbständig. Er beauftragte 1892 den Bauunternehmer H. Valtink aus der Schlieperstraße 31, das o. a. Eckhaus zu errichten. In dem Gebäude, das zu dieser Zeit das erste dreistöckige Wohnhaus in Tegel war, eröffnete er im Erdgeschoss eine Gastwirtschaft. Fortan war er „nicht mehr zu bewegen, unseren Ort auf längere Zeit zu verlassen“, wie einst eine Zeitung formulierte.

Als das Haus entstand, gab es in Tegel noch keine öffentliche Versorgung mit Gas für Leucht- und Kochzwecke. Vielmehr war es üblich, die Räume mit Petroleumleuchten auszustatten. 1896 änderte sich dies. Die Gemeinde Tegel hatte nämlich im März dem Unternehmer Karl Franke aus Bremen die Konzession zur Erbauung und zum Betrieb eines Gaswerkes erteilt. Bereits im November des Jahres war die Anlage betriebsbereit.

Kurz vor diesem Zeitpunkt hatte Restaurateur Hanuschke bei der Firma Borchardt zu Berlin eine eigene Gasanlage zum Preis von 400 Mark gekauft. Um die Kaufsumme aus heutiger Sicht einschätzen zu können, seien an dieser Stelle Durchschnitts-Lebensmittelpreise vom November 1897 genannt. Es kosteten jeweils 1 kg

– Essbutter 2,25 M.
– Schweinefleisch 1,38 M.
– Kalbfleisch 1,30 M.
– Weizenmehl 0,32 M.
– 1 Schock (60 Stück) Eier 4,27 M.

Mit der neu gekauften Anlage sollte Hanuschkes Lokal mit Acetylengas beleuchtet werden. Üblicherweise bestand eine kleine Anlage zur Erzeugung derartigen Gases aus einem sog. Doppelentwickler (Spülapparat), einem Reiniger, einem Gasbehälter, einem Druckregler sowie Wand- und Deckenlampen. Die Art der Beleuchtung schien ja durchaus eine Zukunft zu haben. Es gab schon ganze Ortschaften, die sich für Acetylengas entschieden hatten. So hatte auch im Dezember 1897 der Minister der öffentlichen Arbeiten die Königliche Eisenbahndirektion angewiesen, die Beleuchtung der Eisenbahnwagen mittels Acetylengas allgemein zur Einführung zu bringen.

Doch kaum hatte Hanuschke seine Gasanlage in Betrieb genommen, erhielt er eine Verfügung des Tegeler Amtsvorstehers, die ihm die Nutzung untersagte. Begründet wurde dies damit, dass von einer solchen Anlage erhebliche Nachteile für Nachbarn und Publikum ausgehen können. Nach der Reichsgewerbeordnung war eine besondere Konzessionierung erforderlich.

Der Gastwirt schaltete die Anlage ab, gab sie dem Lieferanten zurück und stellte diesem anheim, selbst die Konzession zu beantragen. Gleichzeitig verklagte er die Firma Borchardt vor der 8. Zivilkammer des Berliner Landgerichts I auf Rückgabe des Kaufpreises von 400 Mark.

Rechtsanwalt Dr. Werthauer vertrat Gastwirt Hanuschke. Er machte geltend, dass der Beklagte seinem Mandanten gesagt hatte, die Anlage koste nur 1 Pfg. pro Stunde und Flamme. Tatsächlich lagen die Kosten bei 5 Pfg. Die Firma Borchardt habe auch ausdrücklich gesagt, dass keine Genehmigung erforderlich sei. Rechtsanwalt Dr. Gennerich vertrat die Beklagte und bestritt beide Aussagen.

Das Speisezimmer der Gaststätte, 1907 mit Gasbeleuchtung.

Das Gericht trat in eine umfangreiche Beweisaufnahme ein. Nach Aussagen des Oberingenieurs Gerdes kostete bei einem Preis von 1 Mark für 1 Pfund Carbid eine Flamme etwa 10,5 Pfg. pro Stunde, bei größerem Verbrauch ca. 6 Pfg. Ingenieur Schülke kam gleichfalls zu der Feststellung, dass eine Flamme je nach Carbidpreis 4 – 6 bzw. 6 – 8,5 Pfg. kostete. Selbst bei kleinem Brenner seien es noch 1,5 – 2 Pfg. pro Stunde. Nun konnte sich zudem die Beklagte nicht mehr genau erinnern, ob beim Verkauf von einer Anmeldung oder einer Konzession der Anlage die Rede war. Im Ergebnis wurde die Firma Borchardt im Oktober 1897 verurteilt, die Kosten von 400 Mark zu erstatten und außerdem die erheblichen Prozesskosten zu übernehmen.

Es kann nur vermutet werden, dass Heinrich Hanuschke sich in der Folgezeit das Gas vom Tegeler Gaswerk liefern ließ. Übrigens hatte sich in dieser Zeit die Firma Martin Gülzow in Berlin SW darauf spezialisiert, Petroleum-Hängelampen zu Gaslampen umzuwandeln, ohne dabei die Lampen zu verändern. Gleichzeitig bemühte sich der Verband der Gast- und Schankwirte für Berlin und Umgebung darum, eine Preisermäßigung für das in Restaurationsräumen verbrauchte Gas zu erreichen. In Berlin kostete 1 Kubikmeter Gas für gewerbliche Zwecke 10 Pfg., während Gastwirte den Einheitspreis von 16 Pfg. zahlten. Die Bemühungen blieben ohne Erfolg.

Heinrich Hanuschke betrieb die Gastwirtschaft bis 1905, um sie dann an den Gastwirt F. Giersch zu übergeben. In der Folgezeit lebte er als Rentier bzw. Privatier, wie man damals sagte.

In einem Rückblick auf das Leben von Hanuschke dürfen seine Söhne Bruno und Willi nicht fehlen. Vater Heinrich hatte schon 1908 die Bedeutung des Flugwesens erkannt. Er stellte seinem Sohn Bruno (geb. 1892) Mittel zum Bau erster Flugzeuge zur Verfügung, die dieser zusammen mit Bruder Willi entsprechend einsetzte. Ersten Gleitflügen mit einem Sportflugzeug im heutigen Steinbergpark folgten Tätigkeiten auf dem 1909 eröffneten Flugplatz in Johannisthal. 1910 erhielt er eine Flugführererlaubnis. Er gründete den Hanuschke-Flugzeugbau sowie eine Fliegerschule. Bruno Hanuschke verstarb bereits 1922.

Mit seinem Denken und Handeln trug Heinrich Hanuschke, zunächst verspottet und verlacht, mit dazu bei, dass es einmal zu einem geregelten Luftverkehr kam. Er wurde auch Mitbegründer des Deutschen Luftflottenvereins, dessen Provinzialverband Brandenburg seine Geschäftsstelle in Pankow, Spandauer Str. 5 hatte. Hanuschke war zudem Mitglied des Männerchors von 1899, des Kirchenchors und 38 Jahre Mitglied des 1875 gegründeten Kriegervereins Tegel. Er hatte jederzeit ein warmes Herz für die Armen, schrieb eine Zeitung, als Heinrich Hanuschke im 73. Lebensjahr am 6.5.1928 verstarb. Die Beisetzung erfolgte am 10.5. um 15 Uhr auf dem Tegeler Friedhof. Pfarrer Beschoren hielt die Trauerandacht, zu der neben den Mitgliedern der kirchlichen Körperschaften auch die der bereits genannten Vereine gekommen waren. Gerhard Völzmann