Alexander von Humboldts letzte Fahrt nach Tegel

In Kreisen, die Alexander von Humboldt nahe standen, kursierte Ende Januar 1859 eine eigentümliche Anekdote. Der Naturforscher und Gelehrte besaß seit Jahren einen „kohlschwarzen“ Papageien, den er vom Großvater der Prinzessin von Preußen geschenkt bekommen hatte. Von Humboldt liebte ihn sehr. Am 27.1.1859, als von Humboldt von einem Diner nach Hause kam, saß der Vogel traurig auf seiner Käfigstange. Der Gelehrte trat auf ihn zu mit der Frage: „Nun, Jakob, wer von uns beiden wird wohl zuerst sterben?“ – „Exzellenz“, so der anwesende Kammerdiener, „sprechen Sie doch zu einem Vogel nicht von so ernsten Sachen!“ Von Humboldt wandte sich ab und nahm ein Buch zur Hand. Eine halbe Stunde später drehte sich der Papagei plötzlich um, sah nach seinem Herrn – und fiel tot von der Stange.

Alexander von Humboldt

Ob Alexander von Humboldt zu dieser Zeit bereits etwas von seinem eigenen nahen Lebensende wusste oder ahnte? Alexander Freiherr von Humboldt, am 14.9.1769 in Berlin geboren, lebte in den letzten Jahrzehnten fast zurückgezogen bald in der Berliner Oranienburger Straße 67, bald auf dem Familiengut in Tegel. Betreut wurde er von seinem langjährigen Diener und Reisebegleiter Seyffert. Der größte Gelehrte der Neuzeit verstarb nach kurzer Krankheit am 6.5.1859 um 16 Uhr im neunzigsten Lebensjahr in Berlin. Das Leichenbegängnis fand vier Tage später statt. Die Oranienburger Straße war am 10.5. „für das große Publikum“ abgesperrt. Die meisten Häuser der Straße trugen Trauerfahnen. Das Trauergefolge warf einen letzten Blick auf den Verstorbenen, der in einem einfachen Eichensarg ruhte. Das Arbeitszimmer Humboldts, in dem der Sarg stand, war mit Fächerpalmen und blühenden exotischen Gewächsen geschmückt. Nach 8 Uhr wurde der Sarg auf den mit 6 Pferden bespannten Trauerwagen gehoben, der Zug setzte sich in Bewegung. Eröffnet wurde dieser von den Dienern des Verstorbenen und der Familie Humboldt. Es folgten etwa 600 Studierende der Friedrich-Wilhelms-Universität, ein Musikkorps und die Berliner Geistlichkeit, unter ihnen der Generalsuperintendent Hoffmann. Die zahlreichen Orden von Humboldts wurden auf samt-roten Kissen getragen. Der Sarg war mit Palmenzweigen, Lorbeerkränzen und einem Kranz aus weißen Azalienblüten geschmückt. Die Leidtragenden, die nun dem Sarg folgten, können hier nicht alle aufgeführt werden. Mit General-Feldmarschall von Wrangel, Fürst von Radziwill, Graf v. d. Groeben, den Mitgliedern beider Häuser des Landtages, den höheren Staatsbeamten, den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften und Oberbürgermeister Krausnick werden hier nur wenige Personen bzw. Personengruppen genannt. Die lange Reihe der nachfolgenden Equipagen eröffneten die mit acht Pferden bespannten Galawagen des Königs und der Königin.

Vor dem Friedrichs-Gymnasium in der Friedrichstraße standen alle Schüler. Als sich der Zug näherte, stimmten sie „Jesus meine Zuversicht“ und „Es ist bestimmt in Gottes Rat“ an. Kopf an Kopf drängten sich die Menschen, alle Fenster der Häuser waren dicht besetzt. Unter den Linden, an der Universität vorbei, ging der Trauerzug dem Dom zu. Vom Haupteingang aus wurde der Sarg zum Altar getragen und dort auf einer Estrade niedergesetzt. Zu beiden Seiten wurden Ordenskissen niedergelegt. Der Raum am Altar war reich mit Palmen und blühenden Gewächsen geschmückt, auf vier mächtigen Kandelabern brannten zahlreiche Wachskerzen. Dem Sarg zunächst nahmen die Leidtragenden und die königlichen Prinzen Platz, während die Prinzessinnen, Friedrich Wilhelm, Karl, Friedrich Karl und Friedrich von Hessen der Feier in der königlichen Loge beiwohnten. Die Trauerrede hielt Generalsuperintendent Hoffmann. In kurzen Zügen versuchte er, ein Bild Alexander von Humboldts darzustellen. Die großartige Milde und Humanität, die allumfassende Liebe, die Herzensgüte und die zartsinnige Harmonie von Humboldts betonte er, aber auch die Zurückhaltung des Verstorbenen, wenn es galt, die Resultate seines Wissens und Erkennens mit den Resultaten der Offenbarung und des kirchlichen Glaubens zusammenzustellen, zu vergleichen und in Einklang zu bringen. Mit je einem von der Gemeinde und dem Domchor gesungenen Lied endete die Trauerfeier.

Auch am Abend, als in einem kleinen Zug der Verstorbene nach seiner letzten Ruhestätte in Tegel überführt wurde, säumten zahlreiche Berliner die Straßenränder, um von Humboldt mit entblößtem Haupt ihre Ehre zu erweisen. Doch dann kam es zu unglaublichen Vorfällen. Im Verlauf des Weges, den der Leichenwagen nahm, kam immer mehr eine „bestialische Horde“ an Menschen hinzu. „Damals fehlte nur wenig, daß sich der Pöbel der Leiche des großen Todten bemächtigte, um sie zum Entsetzen der Welt auf den Markt zu schleudern. Frauenzimmer, mit aufgelöstem Haar, barfüßig, bemächtigten sich damals des Leichenwagens, machten sich auf demselben breit und sangen die gemeinsten Straßenlieder.“ Dieser Exzess währte bis über die sogenannte Weichbildgrenze Berlins hinaus, die sich zu dieser Zeit Chausseestraße Ecke Liesenstraße befand. Die Polizei rührte sich nicht, ließ den Pöbel gewähren. Die Presse war übrigens rücksichtsvoll genug, indem sie der empörenden Greuelszenen in ihrer Berichterstattung nicht gedachte. Erst wenig später, als es vor dem Grundstein des Schillerdenkmals zu einem Pöbelexzess kam, wurde auch über die Geschehnisse anlässlich der Überführung Alexander von Humboldts nach Tegel berichtet.

Am 11.5. erfolgte die Beerdigung Alexander von Humboldts. Der General der Kavallerie, von Hedemann, führte als Haupt der Familie die Trauerfeier an. „Ministerin“ von Bülow, Fürst von Radziwill sowie eine zahlreiche Menge an bedeutenden Personen, Gelehrten, Künstlern und Privatleuten, die in inniger Teilnahme an dem Verstorbenen gebunden waren, hatten sich am Tegeler Schloss eingefunden. Auch viele Hauptstädter sowie die ganze Gemeinde von Tegel waren anwesend. Drei Geistliche, Superintendent Hoffmann, der auch für Tegel zuständige Pfarrer Horn aus Dalldorf wie Pfarrer Schulz aus Heiligensee waren zugegen. Der mit vielen Blumen geschmückte Sarg stand auf einem Katafalk im unteren Hallenraum des Schlosses.

Nach 10 Uhr wurde der Sarg von Männern der Gemeinde auf den Leichenwagen gehoben, der Trauerzug setzte sich in Bewegung. Die Kinder des Dorfes Tegel mit ihrem Lehrer Born führten ihn an. Sie trugen Palmen in den Händen. Das Musikkorps spielte den Choral „Alle Menschen müssen sterben“. Es folgte die Dienerschaft der Verstorbenen. Nun schlossen sich die leidtragende Familie, die bereits weiter oben genannten Persönlichkeiten sowie viele Gemeindemitglieder aus Dalldorf, Heiligensee und Schulzendorf an. Der Weg vom Schloss bis zu jener Stelle, wo der Fußweg zur Begräbnisstelle abzweigt, Lindenallee genannt, lag im ersten Frühlingsgrün. Vom genannten Abzweig an trugen andere Männer der Gemeinde den Sarg zu der Säule mit der Statue der Hoffnung von Thorwaldsen, an der sich die Gräber der Familie befinden. Der Gruft gegenüber sangen die Tegeler Kinder noch einmal den bereits oben genannten Choral. Generalsuperintendent Hoffmann hielt die Trauerrede am Grab, für dessen Ausschmückung am Tag zuvor aus den königlichen Gärten in Potsdam viele hohe Topfgewächse in Körben und eine große Menge an Lorbeer- und Palmenzweigen nach Tegel geschafft wurden. Sodann nahmen die Angehörigen Abschied, gefolgt von all den weiteren Trauergästen. Die Feier schloss mit dem Choral „Jesus meine Zuversicht“, gespielt und gesungen vom Musikkorps und den Kindern aus Tegel. „Ein tiefer Eindruck in allen Gemütern war unverkennbar“, so eine Zeitung zur damaligen Zeit.

Gerhard Völzmann