Am 4.6.1881 wurde die Pferdeeisenbahn nach Tegel eingeweiht

Vor 1881 war es umständlich, von Berlin nach Tegel zu gelangen. Die Wagen der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft endeten in Höhe der alten Chausseegeldhebestelle an der Tegeler Chaussee, der Grenze zwischen Wedding und Reinickendorf. Zwar galt es nicht mehr, anschließend durch knöcheltiefen Sand des Weges zu waten. Das hatte sich schon mit der Fertigstellung der Chaussee über ihren bisherigen Endpunkt am Artillerieschießplatz nach Tegel und bis nach Hennigsdorf im Jahre 1849 geändert. Schon 1875 gab es schließlich einen Omnibus, der von der Müllerstr. 114, dem Endpunkt der Pferdeeisenbahn, morgens um 8.15 Uhr, vormittags um 11.15 Uhr, nachmittags um 16.15 Uhr und abends um 20.15 Uhr nach Tegel fuhr. Trotzdem lockten zu dieser Zeit Gondel- und Dampferfahrten auf dem Tegeler See oder ein Besuch der Humboldtschen Begräbnisstätte noch nicht sehr viele Berliner an. Das sollte sich erst ändern, als das Dorf mit dem Netz der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn-AG verknüpft wurde.

BüchmannLebrecht Büchmann, Kaufmann und Direktor der Großen Internationalen Pferdebahn, war es, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte. Er gründete kurzerhand eine Kommanditgesellschaft (Büchmann & Co.) und erwarb die Konzession für den Bau und Betrieb einer eingleisigen Bahnstrecke nach Tegel. Die Bauausführung übernahm die Große Berliner Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft unter technischer Beratung des Ober-Ingenieurs J. Fischer-Dick, während Bauführer Schmidt die Bauleitung erhielt.

Es ist kaum zu glauben, dass die rund 5 km lange Strecke vom ehem. Chausseehaus an der sog. Weichbildgrenze Berlins bis zum Dorf Tegel in kaum vier Wochen fertig gestellt wurde. Dabei mussten mehrere Holzbrücken durch solide überwölbende Grabenbrücken ersetzt werden.

Pferdeeisenbahn

Ein Wagen der Großen Berliner Pferdeeisenbahn auf der Strecke Charlottenstr. (Unter den Linden) – Tegel.

Bei der landespolizeilichen Abnahme der Pferdeeisenbahnstrecke nach Tegel am 3.6.1881 gab es „nichts zu erinnern“. Am nächsten Tag, es war ein Freitag, war dann die festliche Eröffnung der neuen Strecke. Alles, was Rang und Namen hatte, traf sich um 11 Uhr an der bisherigen Endhaltestelle (Müllerstr.) in dem dort gelegenen Gasthaus. Neben Büchmann, Fischer-Dick und Schmidt – Namen, die wir schon kennen – waren Landrat G.  Scharnweber, Landesbaurat der Provinz Brandenburg G. Bluth, Polizeihauptmann L. von Albert, Direktor M. Hirsch von der Großen Berliner Pferdeeisenbahn, Landesbauinspektor Reinhold und natürlich Tegels Amtsvorsteher Brunow erschienen, ohne dass damit alle Teilnehmer der Festgesellschaft genannt sind.
Man nahm auf der „Imperiale“ zweier Pferdeeisenbahnwagen Platz. Eichenlaubgewinde und Birkenzweige schmückten die beiden Wagen. An der Wagenspitze wehte auch die schleswig-holsteinische Fahne „in zarter Galanterie an das jüngst eroberte, holde Mitglied unserer Königsfamilie, Prinzessin Wilhelm“. Damit war die Prinzessin zu Schleswig-Holstein, Auguste Viktoria, gemeint, die erst kurz zuvor, am 27.2.1881, Wilhelm II., den späteren Kaiser und König von Preußen geheiratet hatte.

Drewitz

Im Lokal von Drewitz (Nachfolger Ewest) wurde 1881 gefeiert.

In bester Stimmung begann die Einweihungsfahrt. Mit lauten Hochrufen begrüßten Arbeiter, die an der Wegstrecke noch letzte Arbeiten erledigten, die Gesellschaft. Tegel war festlich geschmückt. Beiderseits der Dorfstraße waren Masten errichtet, die mit Laubgirlanden umwunden und verbunden waren. An den Mastspitzen flatterten deutsche und preußische Fahnen. Besonders die dunkel gekleidete Jugend begrüßte die eintreffenden Herren mit Enthusiasmus. War es der Gedanke an die nun näher gerückte Erlebniswelt Berlin? Die so laut und herzlich empfangene Gesellschaft begab sich in das nahe gelegene Drewitzsche Lokal. Hier waren bereits Tafeln in Hufeisenform errichtet. Um weitere Tegeler Honoratioren wie z. B. Sanitätsrat C. A. la Pierre (Arzt des frz. Hospitals und Waisenhauses) und alteingesessene Grundbesitzer verstärkt, begann ein von guter Laune gewürztes Frühstück. es wurde viel getoastet und geredet. Die Frühstückssitzung endete mit einem Tafellied (Refrain am „schönen Tegeler See“) nach der Melodie „Am grünen Strand der Spree“, freilich unter kühner Hinwegsetzung der hergebrachten Gesetze der Harmonie gesungen.

Fahrschein

Ein Teilstreckenfahrschein der Großen Berliner Pferdebahn AG aus dem Jahre 1884.

Es folgte eine Promenade am Ufer des Tegeler Sees. Mit einer „Kaffeesitzung“ unter den Bäumen im Vorgarten des Drewitzschen Lokals fand dann die offizielle Eröffnungsfeier ihr Ende. Einige Teilnehmer genossen anschließend die Schönheit des Tages und des Ortes weiter in Tegel, während andere zum Ausgangspunkt der Bahn zurückkehrten, um hier „das fröhliche Ende an den fröhlichen Anfang“ anzuknüpfen.

Das Pfingstfest war die erste Bewährungsprobe für die am Tage mit roter Fahne und nachts mit roter Laterne gekennzeichneten Wagen. Eine Fahrt von der Weidendammer Brücke bis zum Dorf Tegel kostete 50 Pf., seit dem 15.10.1884 nur noch 40 Pf. Die stündlich, an Sonntagen gar alle 20 Minuten verkehrende Bahn musste auf dem eingleisigen Teil der Strecke gelegentlich an den Weichen Pausen einlegen. Hier wie an den Endhaltestellen waren natürlich Gaststätten, die von den Tegelern beim Zwischenhalt gern aufgesucht wurden. Denn die Bahnfahrt verursachte im Sommer Durst und im Winter kalten Füße.

Am 3.6.1891 fand aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums der Eröffnung der Pferdeeisenbahn nach Tegel eine Feier im Gesellschaftshaus „Zum Leydecker“ statt. Etwa 70 Personen feierten bis 3 Uhr morgens.

Gerhard Völzmann