Besondere Bäume in Tegel

Wilhelm von Humboldts Sonett „Die Eiche“. Abbildung: Stamm der „Dicken Marie“.

Kennen Sie „Mutter Dossen“? Ganz bestimmt! Damit ist nämlich Berlins ältester Baum, die „Dicke Marie“ gemeint. „Mutter Dossen“ war eine im 19. Jahrhundert gebrauchte, heute kaum noch bekannte volkstümliche Bezeichnung für die Eiche, die am westlichen Ufer des Tegeler Sees in Höhe der Malche nahe dem parallel zum Wasser verlaufenden Rad- und Fußweg steht. Der älteste Baum Berlins ist etwa 800 (?) Jahre alt, hat eine Höhe von ca. 26 m, einen Durchmesser von 2,10 m und 6,65 m Umfang in Brusthöhe.

Zu immer wieder unterschiedlichen Angaben über das Alter des Baumes wird bemerkt, dass 1890 bei einer in unmittelbarer Nähe der Dicken Marie infolge Windbruchs eingeschlagenen Eiche gleichen Maßes 470 Jahresringe gezählt wurden. Der innerste, etwa 10 cm messende Kern des Stammes war derart dicht und schwarz, dass die Ringe nicht weiter gezählt werden konnten Daher wurde die Dicke Marie in einem Bericht aus dem Jahre 1906 „ziemlich sicher“ auf 500 Jahre geschätzt. Heute wäre die Dicke Marie mithin „nur“ gut 600 Jahre alt.

Nicht weit von der „Dicken Marie“ entfernt steht im Schlosspark ein weiterer historischer Riesenbaum. Es ist ebenfalls eine Eiche, die den Namen Humboldteiche trägt. Ihr Alter dürfte, zurückhaltend geschätzt, nicht unter 400 (?) Jahre betragen. Im Jahre 1888 hielt Dr. Carl Bolle (Scharfenberg) anlässlich der vierten Arbeitssitzung im 24. Vereinsjahr des Vereins für die Geschichte Berlins einen Vortrag über die Humboldteiche. Er sagte u. a., dass der Baum eine merkwürdige Ausnahme von dem Schweigen bilde, das man sonst bei Wilhelm und noch mehr bei Alexander von Humboldt bezüglich der benachbarten Landschaft finde. Bolle verlas das Sonett Wilhelm von Humboldts auf die Eiche und bemerkte, dass sich sein Verhältnis zu derselben „als ein Gemisch der Gefühle von Baumcultus und und persönlicher Scheu bezeichnen lasse, während für Alexander die Bank unter der Eiche stets ein Lieblingsplätzchen gewesen sei. Der mächtige an der Eiche emporwachsende Epheu sei erst 1837 durch General von Hedemann, Schwiegersohn Wilhelm von Humboldts, gepflanzt worden“. Anschließend ging der Botaniker allgemein auf die Tegeler Eichenpflanzungen ein, um dann „Mutter Dossen“ bzw. die „Dicke Marie“ mit der „Humboldteiche“ zu vergleichen. Danach hatte der erstgenannte Baum damals einen Umfang von 5,39 m und eine Höhe von 40 Fuß1. Der Umfang des anderen Baumes lag bei 5,32 m, er war mit 60 Fuß wesentlich höher.

Sonette von C. Bolle, gedichtet 1878 und 1900.

Aus dem Jahre 1899 ist über die Humboldteiche folgendes überliefert:
Zu den historisch interessanten Bäumen in der Umgebung Berlins zählt, wie die `National-Zeitung´ berichtet, die über 800 Jahre alte Humboldt-Eiche am Tegeler Schloßpark unfern des Schlosses, des einstigen Tuskulums Alexanders v. Humboldt. Die isolierte Stellung mit viel Luft und Licht begünstigte ihre riesige Entwicklung im Laufe der Zeit. Schon wenige Meter über der Erde gliedert sich der Stamm in einen wahren Wald von Ästen vom Durchmesser mittlerer Bäume, welche die gewaltige Krone bilden. Das Gewicht der Nebenäste, Zweige und Belaubung beugt die Hauptäste zur Erde nieder. An der Südseite sind die untersten gestützt worden, um zu verhindern, daß sie in das Erdreich hineinwuchsen. Sie bilden mit den Stützen und dem an ihnen sich aufrankenden wilden Wein eine Art Vorhalle an dem alten Baumriesen. Weiter hinauf mußten mehrere Äste, weil morsch und brüchig, abgesägt werden, andere rissen Stürme herab. Der vom Stamme in die Krone aufstrebende Epheu ist leider an der Nordseite teilweise erfroren; aber trotz alledem bietet der kraftstrotzende, stolze, ernste Baum doch immer noch einen erhebenden Anblick, Die kurzgestielten, fast sitzenden Blätter, die langstieligen Früchte, der regelmäßige Laubfall charakterisieren ihn als Sommer- oder Stieleiche, Quercus pedunculata, im Gegensatz zu Q. sessiliflora, der Winter-, Stein- oder Traubeneiche mit sitzenden Früchten und langgestielten Blättern.

Ein weiterer besonderer Baum befindet sich im Tegeler Forst zwischen Konradshöher und Sandhauser Straße . Es ist eine Europäische Lärche, die um 1795 zu einer Zeit gepflanzt wurde, als Forstrat Burgsdorf in Tegel wohnte und hier auch tätig war. Die nach ihm benannte Lärche hat einen Stammumfang von etwa 3 m, ist aber insbesondere mit einer Höhe von ca. 45 m Berlins höchster Baum.

Die Humboldteiche um 1910. Im Hintergrund das Schloss.

Blicken wir nun in jene Straße, die einst Dorfstraße und dann Hauptstraße hieß, heute ist sie unter dem Namen Alt-Tegel bekannt. In Höhe der Dorfaue befand sich eine längst nicht mehr vorhandene Linde, die durch ihren merkwürdig gewachsenen Stamm je nach Betrachter Krumme oder auch Kamelslinde genannt wurde. Andere sahen in der Form des Stammes die Gestalt eines aufgerichteten Bären oder die eines „schön machenden“ großen Hundes. Auf diesen Baum soll hier im Hinblick auf einen bereits zuvor verfassten kleinen Artikel nicht näher eingegangen werden.
Kommen wir jetzt zu einem fünften Baum, über den in der jüngeren Vergangenheit kaum etwas geschrieben wurde. Auch hier kann ein Name genannt werden. Gemeint ist wiederum eine Eiche, und zwar die Tegeler „Friedenseiche“. Derartige Bäume wurden in vielen Orten Deutschlands nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gepflanzt. Als Tag zum Pflanzen einer Friedenseiche wurde gern der Geburtstag Kaiser Wilhelms (22.3.) oder der Sedantag (2.9.) gewählt. Wann die Tegeler Friedenseiche gepflanzt wurde, ist nicht eindeutig bekannt; vermutlich geschah dies am 22.3.18742. Die Initiative hierfür lag beim örtlichen Kriegerverein.

1884 sollte der Baum durch ein „geschmackvolles“ eisernes Gitter umfriedet werden. Zudem war anlässlich des Kaiser-Geburtstages ein festlicher Umzug der Tegeler Vereine geplant. Am Abend war eine wohl mit Fackeln vorgesehene festliche Beleuchtung der Eiche und des Gitters geplant.

Am Morgen des 21.3.1884 erschien der mit der Arbeit beauftragte Schlossermeister mit seinen Gesellen, um das Gitter aufzustellen . Dabei wurde dann aber die traurige Feststellung gemacht, dass in der vergangenen Nacht der Stamm der Eiche mittels einer Stichsäge ringförmig eingeschnitten wurde. Der Einschnitt kurz über dem Erdboden war so tief, dass die Eiche ohne Zweifel eingehen musste. Nur ein Sachverständiger konnte diesen Frevel begangen haben. Schnell glaubte man, dem Täter bereits auf der Spur zu sein. Für den Feiertag aber musste schleunigst an derselben Stelle eine neue Eiche gepflanzt werden. Die Festfreude aber war verdorben. Für den (neuen) Baum ist jedoch das Datum 22.3.1884 damit genau überliefert.

Tegel um 1800. Im Vordergrund zwei uralte Bäume, der rechte beschädigt durch Sturm und/oder Blitzschlag.

In der Folgezeit richteten sich schnell alle Augen auf den Tischlermeister Albert Bacher als den vermutlichen Täter. Es kam zu einem Gerichtsverfahren gegen ihn. Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung belastete ihn schwer. Bacher war Mitglied, ja sogar Mitbegründer des Tegeler Kriegervereins, in dem er aber schon vor zehn Jahren wegen seiner Unverträglichkeit ausgeschlossen wurde. Seitdem wurde er zehnmal wegen Beleidigung, Körperverletzung, groben Unfugs usw. verurteilt. Schon bei der Pflanzung der Eiche vor wohl 10 Jahren soll er sich anderen Personen gegenüber höhnisch geäußert haben, dass der Baum nicht alt werde. Daraufhin wurde die Friedenseiche in den ersten Jahren Tag und Nacht bewacht, bis die Aufmerksamkeit mit der Zeit aufhörte. Am Tag vor dem Aufstellen des Gitters arbeitete der nun Angeklagte ganz in der Nähe und erkundigte sich noch, wann die Gitter-Arbeiten erfolgen sollten. Bei seinen Arbeiten verwendete er eine starke Stichsäge, wie sie augenscheinlich auch bei der Beschädigung des Baumes gebraucht wurde. Bei einer bei Bacher vorgenommenen Hausdurchsuchung wurde eine Stichsäge vorgefunden, deren Schnitt genau in den Stamm der Eiche passte. War damit Bacher durch Indizien der Tat überführt? Der Staatsanwalt bejahte diese Frage und beantragte drei Monate Gefängnis und ein Jahr Ehrverlust. Dem Gerichtshof reichten die Indizien nicht aus, den im übrigen auch leugnenden Angeklagten zu überführen. Es wurde auf Freisprechung erkannt.

Dr. Bolle 1904 unter der (erst) 33 Jahre alten Douglastanne.

Bisher wurde der Standort der Friedenseiche nicht erwähnt. Sie wurde auf dem großen Kirchplatz gepflanzt, also auf der Dorfaue. Doch wo genau? Bis Ende 1874 war die Dorfkirche von einem Begräbnisplatz umschlossen. Später entstanden hier gärtnerische Anlagen. Blickt man vom Kirchenportal aus in Richtung Eisenhammerweg, so befindet sich dort das 1934 errichtete Kriegerdenkmal (damals noch mit einem Löwen versehen), das heute durch zusätzliche Inschrift den Opfern von Krieg und Gewalt gewidmet ist. Nur wenig hinter diesem Denkmal zum Straßenrand hin befindet sich eine kräftige Eiche. Sollte dies die Friedenseiche sein? Hinweise sind nicht vorhanden. Vielleicht lässt sich die Frage aber später noch beantworten.

Kommen wir noch zu einem erwähnenswerten Baum, der heute wohl nicht mehr in Tegel vorhanden ist. Im Jahre 1905 berichtete eine Zeitung in einem Artikel unter der Überschrift „Mutterbäume“ über uralte Bäume mit besonders auffälligen Eigenschaften. Gemeint waren solche mit abnormer Ast- und Zweigstellung wie auch Laubfärbung. Andere jüngere Bäume mit denselben Eigenschaften sollen von ihnen abstammen. Anormal bezüglich der Belaubung sind Blutbuchen. „Eine mittelwüchsige Blutbuche mit intensiv dunkelroten Blättern steht bei der Tegeler Humboldtmühle“, so der Hinweis in dem Zeitungsartikel. Weiter wurde bemerkt: „Alle diese Blutbuchen sind Spielarten der Rotbuche und stammen nach Bechstein3 von einer uralten Blutbuche Thüringens in der Nähe von Sondershausen als Mutterbaum ab.“ Im Gegensatz zu den weiter oben beschriebenen Bäume ist ein besonderer Name dieser Tegeler Blutbuche nicht überliefert.

Zum Schluss unserer Betrachtungen werfen wir noch einen kurzen Blick auf Scharfenberg. Die Insel war von 1867 an im Eigentum von Dr. Carl Bolle, der hier eine „botanische Idylle“,
einen „dendrologischen Garten“ schuf. Im Park wuchsen (1881) mehr als 1200 verschiedene, bei uns ausdauernde Gehölze. In besonders ummauerten Gruben gedeihten mit Feigen, echtem Jasmin, japanischem Bambus, Myrte und Lorbeer auch Gewächse südlicher Zonen. Eichen, (japanische) Tannen, Lärchen, Koniferen, Kastanien, eine schön gewachsene „Wellingtonia gigantea“ (kalifornischer Riesenbaum) gehörten zum Bestand Scharfenbergs. Besonders zu erwähnen ist noch eine 1871 von Bolle gepflanzte, schnell mehrere 30 Fuß hoch gewachsene Douglastanne, die höchste der einst in der Mark vorhandenen. Die Insel diente aber leider auch eine Zeitlang ungewollt als „Kugelfang“ für den nahen Schießplatz.

Sonett Bolles über eine Ulme, die auf Scharfenberg stand. Mai 1891.

Gerhard Völzmann