Für 14 Pfennig Beitrag gab es die höchste Altersrente

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnete im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags am 22.6.1889 das „Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung“. Damit wurde am 1.1.1891 im Deutschen Reich durch Reichskanzler Otto von Bismarck die gesetzliche Rentenversicherung eingeführt. Zuvor wurde durch ihn bereits 1883 die Krankenversicherung und im Folgejahr die Unfallversicherung geschaffen. Nur zur Vervollständigung sei erwähnt, dass die Arbeitslosenversicherung erst ab 1.10.1927 in Kraft trat.

An dieser Stelle ist nicht beabsichtigt, auf die Sozialgesetzgebung näher einzugehen. Vielmehr soll berichtet werden, wie im Jahre 1891 in Tegel zwei Arbeiter durch das neue Gesetz durch eine einmalige Zahlung von je 14 Pfennig in den Genuss einer Altersrente kamen. In der Zeitung las sich das damals so:

Zunächst gilt es, die 14 Pfennig zu erklären. Das Gesetz hatte für eine erste Beitragsperiode von 10 Jahren für die wöchentlich zu zahlenden Beiträge vier Lohnklassen festgelegt, für die 14, 20, 24 bzw. 30 Pf. zu entrichten waren. Der Nachweis der Zahlung erfolgte durch Kauf und Einkleben von Beitragsmarken des entsprechenden Wertes in Quittungskarten. Die Lohnklassen entsprachen einem Jahresverdienst, und zwar

Lohnklasse I bis zu 350 Mark, Lohnklasse II mehr als 350 – 550 Mark,

Lohnklasse III mehr als 550 – 850 Mark und Lohnklasse IV mehr als 850 Mark.

Die beiden Tegeler Arbeiter zahlten mithin für eine Beitragsmarke der Lohnklasse I die erwähnten 14 Pf. Für ihren Rentenantrag war die Invaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalt der Provinz Brandenburg in Berlin W, Mathäikirchstr. 10 zuständig. Zudem gab es die Invaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalt Berlin, die ihren Sitz in Berlin C, Klosterstr. 41 hatte. Letztgenannte war nur für die Innenstadt-Bezirke Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg zuständig. Erst mit der Bildung von Groß-Berlin zum 1.10.1920 waren alle Arbeiter bei der längst in Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin umbenannten Rentenkasse versichert. 1891 gab es im gesamten Deutschen Reich 31 Versicherungsanstalten, die zum Jahresende 130774 Altersrenten im Betrag von 9 048 435, 35 M.1 zahlten.

Aus späterer Zeit (hier 1918) Beitragsmarken der Klasse V der LVA Brandenburg für 1 bzw. 2 Woche(n).

Für eine Altersrente betrug die Wartezeit 30 Beitragsjahre, wobei 47 Beitragswochen als ein Beitragsjahr galten. Die Rente begann frühestens mit Beginn des 71. Lebensjahres. Hinsichtlich der Höhe setzte sie sich aus einem von der Versicherungsanstalt aufzubringenden Betrag und einem festen Zuschuss des Reiches im Betrag von 50 Mark zusammen. Der Anteil der Versicherungsanstalt bei der Berechnung der Altersrentenhöhe betrug für jede Beitragswoche in den Lohnklassen I – IV 4, 6, 8 bzw. 10 Pf., wobei 1410 Beitragswochen angesetzt wurde. Die monatliche Rente wurde auf volle 5 Pf. aufgerundet.

Doch wie war es möglich, dass die beiden Tegeler für nur eine Beitragsmarke eine Altersrente erhielten? Das Gesetz enthielt Übergangsvorschriften. Versicherte, die am 1.1.1891 das 40. Lebensjahr vollendet hatten und nachweisen konnten, dass sie in den drei unmittelbar vorausgegangenen Kalenderjahren (1.1.1888 – 31.12.1890) insgesamt mindestens 141 Wochen in einem Arbeitsverhältnis standen, welches nach dem neuen Gesetz versicherungspflichtig gewesen wäre, verminderte sich die Wartezeit. Die Minderung erfolgte um so viele Beitragsjahre, als die Lebensjahre der Betroffenen am 1.1.1891 die Zahl 40 überstiegen. Für 70-Jährige reduzierte sich mithin die Wartezeit von 30 auf 0 Jahre. Der Rentenanspruch war gegeben. Warum allerdings bei einem eingezahlten Beitrag der (niedrigsten) Beitragsklasse I eine laut Zeitungsmeldung „höchste Altersversicherungsrente“ gezahlt wurde, lässt sich nur nachvollziehen, wenn für 30 (hier fiktive) Beitragsjahre stets die Beitragsklasse IV unterstellt wurde. Nach der oben beschriebenen Berechnungsart betrug die Altersrente dann

1410 Beitragswochen x 10 Pf. = 141,- Mark
zzgl. Reichszuschuss = 50,- Mark
Jahresrente = 191,- Mark.

Die aufgerundete monatliche Altersrente hatte dann eine Höhe von gerade einmal 15,95 Mark. Zur Erinnerung: Wer als Arbeiter Beiträge in der Klasse IV zahlte, hatte einen Jahresverdienst von mehr als 850 Mark!

Übrigens sind die Namen der Tegeler wie auch ihr als Rentner jeweils erreichtes Lebensalter nicht überliefert.

1 Beide Zahlen lassen aus hier nicht genannten Gründen keine Schlussfolgerung zu, wie hoch eine Altersrente durchschnittlich war.