Initiator der Baugenossenschaft Freie Scholle war Gustav Lilienthal (1849-1933), der Bruder des Flugpioniers Otto Lilienthal. Er errichtete als Architekt burgenstilartige Wohnhäuser in (Berlin-)Lichterfelde und gründete die „Terrast-Baugesellschaft“ zur Herstellung billiger zerlegbarer Fertigteil-Typenhäuser für Bauherren mit kleineren Einkommen. Auf Grund seiner Kontakte zu den in Berlin wirkenden Bodenreformern Moritz von Egidy und Adolf Damaschke setzte er sich für die Verbesserung der Lage der Arbeiter ein. Mit seinem Programm für die „Freie Scholle“ ging er über die reine Häuserbaugenossenschaft hinaus, indem er eine Produktionsgemeinschaft nicht nur zum Bau der Häuser, sondern auch der Erzeugung der benötigten Güter des täglichen Lebens als Grundlage einer sich selbst versorgenden krisenfreien Existenz forderte. Die Hausgärten sollten zum Obst- und Gemüseanbau dienen, und ein Konsumverein sollte Waren billig einkaufen und zum günstigen Preis an die Siedler abgeben. An sozialen Einrichtungen waren ein Kindergarten und ein Gemeinschaftshaus vorgesehen, in dem Belehrungen und Vergnügen ihren Platz finden sollten. Auch Werkstätten sollten eingerichtet werden, in denen zeitweise beschäftigungslose Siedler ihre Arbeitskraft durch Ausführung von Reparaturarbeiten einsetzen könnten.
Die Genossenschaft „Freie Scholle“ wurde Mitte 1895 – die erste Kassenbescheinigung stammt vom 1. August 1895 – in Berlin gegründet und am 28. November 1895 in das Genossenschaftsregister eingetragen. Der Geschäftsanteil jedes Genossen betrug 50 Mark (seit 1905 100 Mark), zahlbar in Wochenraten zu 50 Pfennig. Im März konnte der Tegeler Geländestreifen von 2 Morgen Größe, auf dem sich heute die Grundstücke der Egidystraße befi nden, von dem in Waidmannslust wohnenden Eigentümern Protz für 6.000 Mark erworben werden.
Am 17. September 1899 wurde die Grundsteinlegung für die ersten beiden – im Frühjahr 1981 abgerissenen – Zweifamilien-Doppelwohnhäuser in der Egidystraße 24 und 26 gefeiert. Die Grundsteinlegungsurkunde wurde in die Grundmauer des Hauses Egidystraße 24 eingemauert. Diese ersten Häuser wurden im einfachen Standard von den Genossen im Eigenbau gegen Vergütung zum Tegeler Mindestlohn hergestellt, und zwar in der Weise, dass auf der Baustelle der von außerhalb herangeschaffte Zement mit dem auf dem Grundstück befi ndlichen Sand und Kies gemischt und in die – nach Lilienthals Patent gefertigten – Blechformen gegossen wurde, so dass großformatige Hohlblockelemente mit einer gewissen Wärmedämmung entstanden, aus denen dann die Häuser zusammengesetzt wurden. Schon am 1. April 1900 konnten beide Häuser bezogen werden.
Zwei gleichartige Doppelhäuser stellte man zum 1. Oktober 1900 in der Egidystraße 22 und 28 fertig, von denen nur noch die Nr. 22 existiert.
Seit 1901 bemühte sich die Genossenschaft aus Kapitalmangel um öffentliche Geldmittel. Wichtigster Geldgeber war das Reichsamt des Inneren, das Hypothekendarlehen aus dem Reichswohlfahrtsfonds unter der Bedingung gab, dass ein Drittel der künftigen Häuser an Reichs- und Landesbeamte zu vergeben sei.
Die Abhängigkeit von den Behörden führte schnell zur Aufgabe der idealistischen Ziele der Genossenschaft. Neben die sozialistisch eingestellten Arbeiter traten Postbeamte, Lehrer sowie Ingenieure und Kaufleute, was zu Spannungen unter den Siedlern führte. Enttäuscht von dieser Entwicklung, gab Lilienthal 1903 sein Vorstandsamt in der Genossenschaft auf, zumal da auch seine Bauweise in Kritik geraten war, nachdem sich Planungsund Ausführungsfehler der Fertigteilbauten herausgestellt hatten.
Dennoch wurden nach seiner Bauweise und nach seinem Entwurf bis Ende 1905 weitere Doppelhäuser in der Egidystraße 30 – 40 (gerade Nummern), 46 und 48 fertiggestellt. Später entstanden in konventioneller Ziegelsteinbauweise nach Architektenentwürfen beiderseits der Egidystraße aufwendigere, nun mit Spülklosetts versehene Bauten, teilweise in der Form von „Villen für den kleinen Mann“. An der Straßenkreuzung mit dem Waidmannsluster Damm wurden Gebäude mit Bäckerei, Läden und einem Restaurant („Schollenkrug“) erbaut. Nachdem die Straße mit 173 Heimstätten in 73 Häusern bebaut worden war, feierte man am 18. September 1910 die Vollendung der „Siedlung Freie Scholle“, die damals 600 Bewohner hatte.