Am 5.11.1899 konnten die Tegeler Einwohner einem Zeitungsbericht entnehmen, dass die Berliner städtische Gasdeputation beabsichtigte, am Ort eine neue Gasbereitungsanstalt anzulegen. Am 16.6.1901 stand dann in der Zeitung, dass sich die Stadtverordneten-Versammlung zum Bau eines Gaswerks entschieden hatte, für das bereits in Tegel und Dalldorf (Wittenau) Terrain erworben wurde. Nach Plänen und unter der Leitung des Charlottenburger Gaswerkdirektors Georg Schimming fi el der Baubeginn in das Frühjahr 1902. Bei der Aufstellung des Entwurfs und der Ausarbeitung des Lageplanes war zu berücksichtigen, dass die Schöneberger Straße (Sterkrader Straße) und die Berliner Straße eine Dreiteilung des Komplexes erforderten. Dies wiederum führte auch zu einer gleichen Anzahl an Betriebsteilen in der ordnungsmäßigen Folge Kohlenspeicher, Retortenhäuser, Kokslagerplätze, Reiniger und Gasbehälter.

Die Bauausführung des ersten Drittels der Gasanstaltsanlage wurde bis zur Mitte des Jahres 1905 so weit gefördert, dass einzelne Anlagenteile im Winter desselben Jahres allmählich in regelmäßigen Betrieb genommen  wurden. Als Datum der Inbetriebnahme gilt der 5.10.1905, ohne dass freilich eine besondere feierliche Einweihung erfolgte.

Betrachten wir nun die einzelnen Baulichkeiten der Anstalt. Der Hafenbot zumindest zwei Fahrzeugen à 600 t zur Entladung von Kohle sowie einem dritten Fahrzeug zum Löschen von Materialien wie Schamotte oder Reinigermasse Platz. Durch eine Hängebahn stand der Hafen mit dem Kohlenspeicher in Verbindung. Dieser hatte eine Breite von 48,5 m und eine Länge von 574,26 m. Bei einer Höhe von 17,5 m betrug der umbaute Raum damit 487 400 m3. Die Kohlenbrecheranlage lag unmittelbar vor den Retortenhäusern. Hierher gelangte die Kohle in Hängebahnwagen entweder vom Kohlenspeicher oder aber auch direkt vom Hafen aus, sofern keine Einlagerung vorgesehen war. In der Brecheranlage erfolgte die Zerkleinerung in faustgroße Stücke. Die gebrochene Kohle gelangte nun in die beiden Retortenhäuser. Nach dem hier 12 Stunden dauernden Vergasungsprozess, der bei Temperaturen von 1100 bis 1200 Grad stattfand, gelangte das entstandene Gas in Kondensationshäuser mit Anlagen zur nassen Reinigung des Gases. Zudem wurden Teer und Ammoniak abgeschieden. Der bei der Vergasung entstandene Koks kam zum Kokslager. Bei Betriebsbeginn war ein Platz fertig. Er hatte eine Breite von 50 m und eine Längenausdehnung von etwa 200 m und war von einem Hängebahnring umgeben.

Dem Kokslager schloss sich die Koksaufbereitungsanlage an. Der aufbereitete Koks wurde in Silos gelagert, direkt verkauft und in Fuhrwerke oder Eisenbahnwagen abgelassen. Koksabfall kam in das angrenzende Dampfkesselhaus. Hier waren acht Wasserröhrenkessel mit je 100 m2 Heizfläche für die Erzeugung von Dampf mit 10 Atm. Überdruck. Das Kraftwerk war für Gleichstrom von 440 Volt Spannung vorgesehen. Der Strom wurde insbesondere für die Antriebe der zahlreichen Hängebahnlinien, Becherwerke, Bänder, Kräne usw. benötigt.

Direkt an der Berliner Straße und damit unmittelbar am Kokslager befanden sich das Verwaltungsgebäude und das Arbeiterunterkunftshaus mit dem zwischen beiden Gebäuden gelegenen, mit Schutzhallen versehenen Haupteingang. Das Arbeiterunterkunftshaus war insbesondere für jene Arbeiter vorgesehen, die ihre Arbeit im Freien ausübten. Die Dreiteilung des Werkkomplexes erforderte Brücken zur Überquerung der Schöneberger Straße und der Berliner Straße. Direkt an der östlichen Seite der Berliner Straße lag das Laboratorium. Unweit des Laboratoriums bildeten Hoch- und Tiefreservoire, Ammoniakfabrik und Salzlager eine möglichst zusammenhängende Anlage, um allein ein Minimum an Rohrleitungen zu erreichen. Lagen Bassins zur Abscheidung des Teers und zur Anreicherung des Ammoniakwassers noch auf dem Mittelgrundstück, so wurden auf dem Ostgrundstück in einem Reservoirturm Teer, Ammoniak und Reinwasser oberirdisch in Bassins untergebracht. Die Anlage zur Erzeugung von Ammoniumsulfat hatte die Firma Julius Pintsch, Berlin, ausgeführt. Die Reinigerhäuser enthielten zwei Gruppen zu vier Reinigern von je 20 m Länge und 8 m Breite. Die Versuchsanstalt enthielt die Retortenanlagen für die Kohlenprüfung, die Maschinenanlagen, die Kondensatoren, Skrubber (Gasreiniger) und Reinigungsanlagen sowie Mess- und Beobachtungsapparate.

Die mit der Eisenbahn angelieferte Kohle wurde zunächst gewogen und dann, falls der jeweilige Güterwagen für die Entladung an der Stirnwand geöff net werden konnte, auf die elektrisch angetriebene Kohlensturzvorrichtung (Kohlenkipper) gebracht. Als Gasbehälter waren drei von je 140 000 cbm Nutzinhalt vorgesehen. Der erste fertig gestellte Behälter hatte einen Durchmesser von 75,2 m. Ein zweiter Behälter folgte später, während ein dritter nie errichtet wurde. Erwähnt sei noch das Beamtenwohnhaus mit seinen drei Dienstwohnungen. Es stand an der Wittestraße 32, Ecke Spandauer Straße (heutige Holzhauser Straße) in der Nähe des Regulier- und des Überfüllhauses.

Das in der Folgezeit weiter ausgebaute Werk blieb während des Weltkrieges nicht vor Bombenabwürfen verschont. So entstand am 30.1.1944 schwerer Schaden durch einen britischen Bomberangriff . Nach 1945 erfolgten Instandsetzungsarbeiten, 1948/49 gar ein Anschluss an das Straßenbahnnetz zum Transport von Gütern (Koks) zur Sellerstraße (Wedding).

Im September 1953 erfolgte dann die Stilllegung des Werkes. Nach und nach wurden die Baulichkeiten abgerissen, zuletzt 1966 der Kohlenbunker. Während in der Folgezeit auf dem Gelände an der Bernauer Straße Wohnungen erbaut wurden, entstanden an der Holzhauser Straße und Wittestraße Industriebauten, Dienstleistungsbetriebe und die heutige Bundesautobahn A 111.

K. Schlickeiser