Die Justizvollzugsanstalt Tegel im gleichnamigen Ortsteil des Berliner Bezirks Reinickendorf ist die größte geschlossene und zugleich eine der ältesten Justizvollzugsanstalten Deutschlands. Seit 1898 sitzen dort verurteilte männliche erwachsene Strafgefangene ihre Freiheitsstrafen ab.
Im September 2012 verfügte die JVA Tegel über 1325 Haftplätze, die Belegung lag bei 1216 Inhaftierten, die von 805 Justizbeamten und -angestellten bewacht und betreut wurden. Rund 63 Prozent der Häftlinge waren Deutsche und rund 37 Prozent der Häftlinge waren Ausländer. Vertreten sind sämtliche Strafdauern, von Kurzstrafen bis zu lebenslangen Freiheitsstrafen und Sicherungsverwahrung.
Geschichte
Baubeginn der Anstalt war der 26. Juli 1896, die erste Belegung mit Insassen erfolgte am 1. Oktober 1898. Damals trug die Anstalt den Namen Königliches Strafgefängnis Tegel.
Im Jahr 1902 erfolgte die endgültige Fertigstellung aller Bauten innerhalb der Umwehrungsmauer, 1906 auch die der Bauten außerhalb. 1916 wurde das Verwahrhaus I zum Militärgefängnis, das Aufsichtspersonal in diesem Trakt wurde vom Militär gestellt.
1918 erfolgte die Umbenennung der Anstalt in Strafgefängnis Tegel, 1931 wurde auch das Verwahrhaus III zum Militärgefängnis umfunktioniert.
Am 21. April 1945 wurde die Anstalt aufgelöst, alle Inhaftierten wurden entlassen. Die französische Besatzungsmacht übernahm die Anstalt im Juli 1945 und gab sie im Oktober an die deutsche Verwaltung zurück, die sie umgehend wieder in Betrieb nahm. 1955 erfolgte die Umbenennung in Strafanstalt Tegel, 1957 wurden fünf Wachtürme auf der ringförmigen Umfassungsmauer gebaut.
Am 1. April 1977 wurde der Name in Justizvollzugsanstalt Tegel geändert.
1979 erfolgte der Baubeginn für die 1982 fertiggestellte Teilanstalt V, 1984 wurde mit der Teilanstalt VI begonnen, die 1988 fertiggestellt wurde.
Heute
Die JVA Tegel ist eine Anstalt des geschlossenen Vollzuges, sie ist die Justizvollzugsanstalt mit den meisten Strafgefangenen im geschlossenen Vollzug in der Bundesrepublik Deutschland. Nur die JVA Bielefeld-Senne mit ihren rund 1740 Haftplätzen im offenen Vollzug ist in Deutschland noch größer. Das Gelände der JVA umfasst rund 130.000 m², die Außenmauer ist 1465 m lang und mit 13 Wachtürmen bestückt. Die Haftanstalt gliedert sich in sechs Teilanstalten.
Bekannte Insassen
Wilhelm Voigt verlässt die Strafanstalt Tegel. Von Eduard Frankl († 1927), Berlin-Friedenau – Der Hauptmann von Köpenick — begnadigt. In: Wiener Bilder, 26. August 1908
Friedrich Wilhelm Voigt, besser bekannt als Hauptmann von Köpenick, war nach der Verurteilung wegen seiner Köpenickiade knapp zwei Jahre in Tegel inhaftiert. Nach der Begnadigung durch Kaiser Wilhelm II. konnte er am 16. August 1908 das Strafgefängnis verlassen.
Carl von Ossietzky (Mitte) vor seinem Haftantritt. Bundesarchiv, Bild 183-B0527-0001-861 / Unbekannt
Vom 10. Mai bis zum 22. Dezember 1932 war der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky wegen Landesverrats inhaftiert.
Der 1996 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochene Priester Bernhard Lichtenberg war vom 29. Mai 1942 bis zum 23. Oktober 1943 wegen seiner öffentlichen Fürbittgebete für Juden und „nichtarische“ Christen in Tegel in Haft.
Bewegende Briefe, zumeist aus Tegel, schrieb der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Er war 1943 als Gegner der Nationalsozialisten im damaligen Militärgefängnis inhaftiert worden. Die Briefe und Aufzeichnungen wurden mit dem Buch „Widerstand und Ergebung“ im Gütersloher Verlagshaus veröffentlicht.
Das spätere RAF-Mitglied Andreas Baader war von seiner Festnahme am 4. April bis zu seiner Befreiung am 14. Mai 1970 in der Strafanstalt Tegel inhaftiert. Er verbüßte dort eine dreijährige Freiheitsstrafe wegen der Kaufhaus-Brandstiftungen am 2. April 1968.
1999 trat der Ex-Kommunarde Dieter Kunzelmann seine zehnmonatige Haftstrafe in Tegel an, indem er medienwirksam inszeniert an die Eingangstür klopfte. Das Foto im Spiegel trägt die Bildunterschrift „Ich will hier rein“. Zuvor war er abgetaucht und ließ sich per Todesanzeige für tot erklären. Danach meldete er sich mit einem Buch zurück und feierte am Abend vor dem Haftantritt ein großes Fest im alternativen Kulturzentrum Mehringhof.
Der Ex-Rapper Denis Mamadou Cuspert, unter dem Namen Deso Dogg als Rapper tätig, war ebenfalls einige Zeit in der JVA Tegel inhaftiert.
Carl von Ossietzky (Mitte) vor seinem Haftantritt
Auch der Sänger der Rechtsrock-Bands Landser und Die Lunikoff Verschwörung, Michael Regener, saß dort seine Reststrafe ab. Am 21. Oktober 2006 gab es für ihn eine von der NPD angemeldete Konzert-Solidaritätskundgebung vor der Justizvollzugsanstalt.
Auf dem großen Grundstück Seidelstraße 33 bis 44 Ecke Bernauer Straße befinden sich die Gebäude der „Justizvollzugsanstalt Tegel“. In den 1890er Jahren hatte die preußische Verwaltung geplant, das veraltete Berliner Gefängnis „Stadtvogtei“ zu schließen und die nicht mehr ausreichenden Gefängnisse in Moabit (Zellengefängnis) und Plötzensee durch ein weiteres zu ergänzen. Eine Kommission unter Leitung des preußischen Ministeriums der öff entlichen Arbeiten entwarf Baupläne für das neue Gefängnis nach dem pennsylvanischen System, also für eine Einrichtung mit leicht überwachbaren Einzelzellen, und bestimmte zum Bauplatz ein Forstgelände im Jagen 56 der Jungfernheide an der Seidelstraße. Dieses Gelände wurde 1899 in den Gemeindebezirk Tegel eingemeindet. Die 1896 begonnenen Bauarbeiten wurden von dem königlichen Regierungsbaumeister Förster geleitet. Am 01.10.1898 wurde die „Königlich Preußische Strafanstalt Tegel“ eröffnet.
Hinter der Hofeinfahrt „Seidelstraße 39“ was das Torgebäude erbaut worden, dahinter der Verwaltungsbau mit Kirchensaal im dritten Obergeschoss, überragt von zwei Kirchentürmen (mit Wasserbehältern zur Versorgung der Anstalt) als Mittelpunkt der Anlage. Der von evangelischen und katholischen Gefangenen genutzte Kirchensaal wurde mit 408 Einzelsitzen ausgestattet, die durch hohe Trennwände voneinander geschieden waren, um Kontaktaufnahmen unter den Gefangenen zu verhindern. An den Verwaltungsbau schloss sich rückseitig das Verwahrhaus II mit 486 Zellen für Gefangene mit langen Gefängnisstrafen an. In dem links daneben gelegenen Verwahrhaus I befanden sich 506 Zellen für Gefangene mit kurzen Strafen und im rechts gelegenen Verwahrhaus III 498 Zellen für Gefangene mit mittellangen Strafen. Rechts vom Verwaltungsbau gab es noch ein Gebäude für Gemeinschaftshaft.
Weiter waren errichtet worden Gebäude für die Krankenabteilung, die Bäckerei, Kochküche sowie Werkstätten für die Beschäftigung der arbeitspfl ichtigen Gefangenen mit Arbeitsräumen für Schlosser, Schmiede, Klempner,Tischler und Drucker/Setzer. Gearbeitet wurde für den laufenden Bedarf des Gefängnisses sowie für preußische und Reichsbehörden. Die meisten Gefangenen aber wurden in ihren Zellen beschäftigt, z.B. mit Herstellen von Briefumschlägen, Kartonagen, Matten. Der Gefängnisbereich wurde von einer 4 m hohen Mauer umschlossen. In diesen Bereich führte durch das Torgebäude ein von der Seidelstraße abzweigendes Straßenbahngleis für den Gefangenentransport.
Bis 1907 stellte man längs der Seidelstraße auch 12 Beamtenwohnhäuser, teilweise als Doppelhäuser, fertig. Hier zogen der Anstaltsdirektor, Inspektor, Arzt und die Aufseher mit ihren Familien ein. Die Baukosten für dieGefängnisanlage betrugen 2.881.421 Mark. Hinter dem Gefängnis gab es über 8 Hektar Ackerland mit Gewächshaus und Frühbeeten. Hier bauten Gefangene Gewächse für die Gefängnisküche an.
Die Belegungsstärke war für 1.650 Männer vorgesehen. Bekannte Gefangene waren der „Hauptmann von Köpenick“ Wilhelm Voigt (1906 – 08) und der Journalist Carl von Ossietzky (1932). Auch der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeff er (1943), der Jesuitenpater Alfred Delp (1944) sowie der katholische Dompropst Bernhard Lichtenberg (1942 – 43) waren im Verwahrhaus III inhaftiert. Sie befanden sich aber nicht im eigentlichen Strafgefängnis, sondern in dem 1940 von diesem abgetrennten Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis, in dem auch Untersuchungshäftlinge der Kriegsgerichte und des Volksgerichtshofs untergebracht wurden. Hier und im Strafgefängnis war von 1933 bis 1945 der Pfarrer Harald Poelchau als evangelischer Gefangenenseelsorger tätig.
Bei einem Luftangriff am 06.10.1944 wurde das Verwahrhaus II teilweise zerstört, wobei 24 Gefangene starben. Auch einige Beamtenwohnhäuser wurden zerstört. Nach 1945 nutzte die französische Militärregierung einige Jahre das Verwahrhaus I für die Unterbringung der vom Militärgericht verurteilten Deutschen.
1971 bis 75 wurden die wieder hergestellten Verwahrhäuser I bis III modernisiert.
1970 wurde ein in Richtung Flughafensee gelegener Neubau (Haus IV) für die Sozialtherapeutische Anstalt in Betrieb genommen. Hier wird die Persönlichkeitsentwicklung von Gefangenen zu Verringerung der Rückfallgefahr gefördert. 1982 und 1988 nahm man die in Richtung Siedlung Waldidyll gelegenen neuen Teilanstalten (Häuser) V und VI in Betrieb, und 1988 stellte man eine neue Technische Versorgungszentrale fertig.
Seit 01.04.1977 heißt die Strafanstalt „Justizvollzugsanstalt Tegel“. Sie ist durchschnittlich mit etwa 1.600 Gefangenen belegt. Arbeit in der Anstalt gibt es für 1.000 von ihnen mit 15 Werkstätten.
Ein Teil der Erzeugnisse – Obstkuchen, Holzspielzeug, Grillkamine, Lampen im Tiffany-Stil, Hemden, originelle Plastiken und anderes – wird im Verkaufsladen Seidelstraße 41 angeboten. Auch die gefängniseigene Gärtnerei verkauft Pflanzen und Gemüse an die Öffentlichkeit. Seit 1968 geben Gefangene die Gefängniszeitung „Der Lichtblick“ heraus.
Die Straßenbahn
Im Juni 1881 wurde die noch von Pferden gezogene Straßenbahn nach Tegel eingeweiht. Ende Mai 1958 fuhr die letzte Straßenbahn, nun von der U-Bahn und von Autobussen abgelöst. Damit endete nach 77 Jahren der Straßenbahnverkehr in den Norden Berlins nach Tegel, Tegelort und Heiligensee. Von 1898 bis 1927 bestand zwischen dem Stadtinneren von Berlin in Richtung Tegel aber auch eine besondere Straßenbahnlinie, die allein wegen der schon lange zurückliegenden Zeit weniger bekannt ist. Diese Straßenbahnen fuhren nur bis zum Tegeler Gefängnis, der heutigen Justizvollzugsanstalt in der Seidelstraße 39. Die Bahnen dienten dem Gefangenentransport, mithin nicht dem öffentlichen Personenverkehr. Die folgende Abhandlung soll hierüber informieren.
Im Juli 1896 begannen auf Tegeler Gebiet die Arbeiten für die Errichtung eines Gefängnisses, die im Oktober 1898 mit der Aufnahme der ersten 90 Gefangenen weitgehend abgeschlossen waren. Von der Planung her war vorgesehen, die Straßenbahn für den Transport von Gefangenen vom Polizeipräsidium mit seinem Untersuchungsgefängnis am Molkenmarkt in Berlin zum neuen Gefängnis in Tegel zu nutzen. Umgekehrt war sie auch für Fahrten entlassener Insassen von Tegel ins Stadtinnere gedacht. Insofern entstand auf dem Anstaltsgelände ein Schuppen für Straßenbahnwagen. Er hatte eine bebaute Grundfläche von 136,9 m². Die Gesamthöhe betrug 4,69 m bei einer gewölbten, aus Holzzement gefertigten Decke, während die Raumhöhe bei 4,30 m lag. Der Fußboden war mit Feldsteinen gepflastert. Der unbeheizte Wagenschuppen mit seinen Ziegelsteinmauern verursachte Baukosten von 47,8 Mark/m2 bzw. 10,1 Mark/m3. Die geplanten Baukosten von 6072 Mark wurden mit tatsächlichen Kosten in Höhe von 6479 Mark etwas überschritten.
Vom Schienenstrang in der Seidelstraße führte mittels einer Weiche ein Gleis durch das Torgebäude der Anstalt auf den Innenhof. Von hier aus verliefen dann zwei Gleise in den Schuppen und ein kurzes Stück darüber hinaus.
Am 24.11.1898 fuhr erstmals einer der „Grünen Pferdebahnwagen“ mit Gefangenen vom Molkenmarkt nach Tegel. Der Wagen ähnelte den normalen Pferdebahnwagen, hatte an den Seiten aber keine Fensterscheiben. Stattdessen waren hier grün gestrichene dicke Eisenblechverkleidungen. In der Mitte beider Seitenwände war eine schmale Tür mit einem vergitterten Fenster, den Gefangenen als Ein- und Ausstieg dienend. Im Wageninneren befanden sich beiderseits der Längsachse Einzelzellen, durch Oberlichtfenster erhellt. In der Mitte des Wagen war die Inschrift „Neues Kgl. Strafgefängnis Tegel bei Berlin“ angebracht sowie ein Raum für die den Transport begleitenden Aufseher vorhanden. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der ersten Fahrt dieses Wagens ist festzustellen, dass bei der Belegung der Anstalt am 2.10. diese Transportmöglichkeit noch nicht zur Verfügung stand.
Für die „Grüne Pferdebahn“ wurde ein fester Fahrplan eingerichtet, nach dem die Wagen um 10 und um 16 Uhr vom Molkenmarkt aus losfuhren und dann mit entlassenen Gefangenen zurückkehrten. Die Räder der Wagen waren mit Schutzblechen verkleidet, damit keine Menschen überfahren wurden. Die Wagen, „mit einer Einrichtung für elektrischen Betrieb“ versehen, waren so schwer, dass sie von drei Pferden gezogen werden mussten.
In der Festschrift „100 Jahre Justizvollzugsanstalt Tegel“ wurde dagegen (ohne einen genauen Zeitraum zu nennen) angegeben, dass die Gefangenenwagen mit ihren 22 Zellen von den Linien 25 und 26 der Großen Berliner Pferdeeisenbahn-Gesellschaft bis vor die Anstalt gezogen, dort abgekoppelt und dann in das Gefängnis geschoben wurden. Ob dies zutraf, ist fraglich, da die „normale“ Straßenbahn ja ab Unter den Linden einsetzte.
Am 12.7.1900 erfolgte die landespolizeiliche Abnahme und am Folgetag die Aufnahme des elektrisch betriebenen Straßenbahnverkehrs zwischen Berlin und Tegel. Der Strom außerhalb des Berliner Gebietes wurde übrigens zunächst von der Firma Borsig zur Verfügung gestellt. Am 22.8.1900 meldete die Berliner Börsenzeitung:
Von Berlin aus sollen jetzt die Strafgefangenen nach dem Gefängniß bei Tegel elektrisch befördert werden. Nach Einrichtung des elektrischen Betriebes auf der Straßenbahn nach Tegel ist bis zur Strafanstalt ein Anschlußgeleise hergestellt worden, damit Gefangenentransporte bis in das Innere der Anstalt bewerkstelligt werden können.
Lageplan des Gefängnisses mit den Straßenbahngleisen aus dem Jahre 1900
Ab 31.8.1900 wurden die Transportwagen für die Gefangenen, vom Volksmund jetzt als „Dicke Pauline“ bezeichnet, elektrisch betrieben. Zunächst war gedacht, die Wagen selbst mit elektrischen Einrichtungen zu versehen. Sie wurden dann aber von eigens zu diesem Zweck gestellten Motorwagen der Großen Berliner Straßenbahn gezogen. Die Linie hatte natürlich auch eine Signalfarbe, und zwar weiß mit einem gelben Strich. Das Straßenbahnpersonal gab dem ungewöhnlichen Zug den Namen “Fliegender Holländer“.
Als im Jahre 1900 der Abbruch der Stadtvogtei am Molkenmarkt erfolgte, sollten die Polizei-Gefangenen nun vom Präsidium am Alexanderplatz aus mit den besonderen Wagen der Straßenbahn zum Tegeler Gefängnis überführt werden. Die Wagen stellte weiterhin die Justizverwaltung. Zu diesem Zweck musste eine Gleisverbindung vom Hof des Polizei-Präsidiums durch die Schicklerstraße und die Straße An der Stadtbahn zur Stralauer Straße geführt werden. Die Direktion der Großen Berliner Straßenbahn beantragte bei den Behörden im Oktober 1900 eine entsprechende Genehmigung, die im Mai 1901 auch erfolgte. Über den genauen Tag der ersten Fahrt liegen unterschiedliche Informationen vor. So berichtete eine Zeitung am 15.5.1901 u. a.: „Eine neue, nicht öffentliche elektrische Straßenbahnlinie ist gestern in aller Stille in Betrieb gesetzt worden …“ Eine andere Berliner Zeitung schrieb am 24.5. u. a.: „Eine Straßenbahnlinie für den Transport von Gefangenen ist gestern von den Vertretern der Eisenbahndirektion, des Polizeipräsidiums, der Justizverwaltung und der Großen Berliner Straßenbahn abgenommen worden … Die Straßenbahngesellschaft unterhält lediglich den Betrieb der eigenartigen Bahn. Für die Fortbewegung der Wagen werden besondere Motorwagen eingestellt.“ Die Angaben über die erste Fahrt am 14. oder am 23.5. müssen sich nicht unbedingt widersprechen. Der erstgenannte Termin könnte der der ersten (inoffiziellen) Fahrt und das zweite Datum das der förmlichen Einweihung gewesen sein.
Die in den Wagen enthaltenen Verschläge verhinderten, dass sich die Gefangenen sehen konnten. Es war zudem streng verboten, die Wände der Zellen mit Inschriften zu versehen, doch das Verbot nutzte nichts. Auch wenn die Taschen der Gefangenen stets nach Bleistiften durchsucht wurden, so wurden doch immer wieder alle Wände mit „dichterischen Ergüssen“ bedeckt. Die „Poesie“ war zumeist sehr realistisch.
So schrieb einer, der im Juli 1902 zur Entlassung nach Berlin fuhr: Der Rumfutsch(1) und die Erbsen, die haben mich vertrieb´n, Sonst wär ich noch länger in Tegel geblieb´n. Holdrio!
Ein anderer schrieb: In der Rummelsburger Winden(2) Werden wir uns wiederfinden.
Ansonsten wurden wohl jede Speise, viele Namen der Gefängnisbeamten, das Wollezupfen, das Federnreißen, das „Dütenkleben“ als Motive gesehen, Dutzende von „Gedichten“ zu schreiben. Es spielte natürlich auch eine Rolle, ob der Gefangene seine Strafe noch vor sich oder bereits überstanden hatte. Auch Stimmungen der Insassen spiegelten sich in den Versen wider. Das Wageninnere wurde jedenfalls immer wieder frisch gestrichen.
In welchem Zusammenhang das Tegeler Straßenbahn-Depot und die Fahrten der Gefangenen-Transportwagen standen, ist nicht eindeutig bekannt. Überliefert ist, dass am 7.8.1902 der Straßenbahnfahrer Münchenhagen das Depot in Tegel betrat. Er wohnte in der Reinickendorfer Antonienstraße, besaß dort ein kleines Eigentum. Der 32-Jährige pflegte gewöhnlich die „Dicke Pauline“ zu fahren. Am genannten Tag begann sein Dienst etwas später. Er betrat gegen 930 Uhr das Depot, begrüßte Kollegen und begab sich dann in den Wagenschuppen. Es folgte ein lauter Knall. Der Fahrer hatte sich im Schuppen erschossen. Er hinterließ eine Frau und vier minderjährige Kinder. Krankheit und Schulden wurden als Gründe des Selbstmordes vermutet.
Bis zu seiner Entlassung aus dem Tegeler Gefängnis am 16.8.1908 war auch der „Hauptmann von Köpenick“, Schuster Wilhelm Voigt, Insasse der Anstalt. Als er am genannten Tag um 1545 Uhr nach einem Gnadengesuch auf Grund einer Kabinettsorder des Kaisers freigelassen wurde, fuhr er nach dem Verlassen des Gefängnisses mit der Straßenbahn in das Stadtinnere. Der Straßenbahnschaffner erkannte ihn sofort, so diskret sich der „Ex-Hauptmann“ auch verhielt. Voigt wurde mithin (absichtlich?) nicht mit der „Dicken Pauline“ befördert.
Das Berliner Strassenbahn-Magazin berichtete in einem Artikel „Straßenbahn für den Gefangenentransport“, dass 1917 der oder die entsprechenden Wagen ca. 12 m lang und grau lackiert waren. Sie befanden sich im Schlepp eines normalen Straßenbahntriebwagens. 1927, als die besondere Straßenbahnlinie eingestellt wurde, waren wohl drei anstaltseigene Wagen vorhanden, die an Motorwagen der Berliner Straßenbahn-Betriebs-G.m.b.H. angehängt wurden. Der Volksmund nannte sie nun „Grüne Minna“. Das war dann eine letzte der für Berlin und die Berliner so typischen Wortfindungen.
Leider konnte bisher kein Foto ermittelt und auch kein genaueres Datum der Einstellung des Fahrbetriebes recherchiert werden.
Gerhard Völzmann
(1) Hier abfällige Bezeichnung für eine unschmackhafte Suppe.
(2) Arbeitshaus
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