Die Humboldt Mühle
Auf dem Grundstück »An der Mühle 5 – 9« stehen noch einige früher von dem Tegeler Mühlenbetrieb genutzte Gebäude. An diesem Ort befand sich sechshundert Jahre lang eine Wassermühle, die 1375 zusammen mit den umliegenden Dörfern gegründet wurde. Da man in unserer Gegend damals noch keine Windmühlen kannte, legte man an günstigen Stellen Wassermühlen an, die man für die auf Getreideanbau und -verarbeitung eingestellte Landwirtschaft benötigte. So entstanden am Tegeler Fließ die Wassermühlen von Tegel und Hermsdorf. Erst viel später, um 1560, richtete man in Tegel außer der Getreidemühle noch eine Schneidemühle zur Herstellung von Brettern aus Baumstämmen ein. Das Aussehen der Mühle ist erst aus der Zeit um 1790 überliefert: Ein Stich nach einer Zeichnung von Calau zeigt an der Nordwestseite des Fließes die massiv gebaute, mit einem Fachwerkgiebel versehene Getreidemühle, neben der sich das kleine Fachwerkwohnhaus des Müllers befand. Auf der Südseite des Fließes stand das aus Holz gebaute Schneidemühlgebäude. Zwischen den beiden Mühlgebäuden lief das Mühlrad, das sowohl das Mahl- als auch das Schneidwerk antrieb. Für den Mühlenbetrieb staute der Müller das Fließ auf, so dass sich ein bis über die heutige Karolinenstraße hinausreichender Mühlenteich bildete. Ursprünglich gehörte die Tegeler Mühle dem Landesherren, dem Markgrafen bzw. dem Kurfürsten von Brandenburg, der sie verpachtete. Die Bauern der umliegenden Dörfer, die ihr Getreide in dieser Mühle mahlen lassen mussten (Mühl- oder Mahlzwang), überließen dem Mühlenpächter einen Teil des Getreides als Entgelt für das Mahlen. Der Pächter selbst musste jede sechzehnte Metze (1 Metze = 3,44 l) des eingelieferten Getreides als Pacht an die landesherrliche Verwaltungsstelle abliefern. Die Tegeler Mühle lief gut, so dass der Pächter um 1400 jährlich 4866 kg Roggen und 805 kg Hafer aus dem von ihm abgemahlenen Getreide als Pacht zu entrichten hatte.
Der in Geldschwierigkeiten befindliche Landesherr verpfändete das Recht aus der Pachtleistung an private Darlehensgeber. Pfandinhaber war bis 1361 der Berliner (Cöllner) Bürger Johannes Wolf, der in jenem Jahr seine Rechte an der Mühle an das Benediktinerinnenkloster in Spandau übertrug. Nach der Auflösung des Klosters 1542 bis 1558 fiel die Mühle an den Landesherrn zurück. Von 1776 bis 1854 gehörte sie zum Gut Schloss Tegel. Dann erwarb sie der Rentier Henning von den Humboldt-Erben. Er und der Mühlenmeister Thießen als Pächter hatten die Wassermühle zur Verbesserung der Mahlleistung 1848 in eine Dampfmühle umgewandelt, in der eine Dampfmaschine mit 20 PS Leistung das Mahlwerk antrieb. Nach zweimaligem Eigentumswechsel erwarben 1887 die Unternehmer Cohn und Rosenberg die Mühle und bauten sie unter dem Namen »Humboldt-Mühle« fabrikartig aus. 1893 gründeten sie die »Humboldtmühle-Aktiengesellschaft« mit einem Nominalkapital von einer Million – seit 1911 1,5 Millionen – Mark. Die tägliche Mahlleistung betrug 1911 bereits 80 Tonnen.
Nachdem ein Brand 1912 die meisten Gebäude zerstört hatte, wurde im nächsten Jahr das heute vorhandene Mühlengebäude an der Straße über dem Fließ erbaut. Dieses mit roten Ziegelsteinen verblendete, von den Architekten Enders & Lichtenstein erschaffene Gebäude enthielt Getreide-, Mehl- und Kleie-Silozellen auf der linken Seite, die eigentlichen Mühlenräume in der Mitte sowie Getreidereinigungsanlagen im rechts gelegenen Seitenflügel.
1924 erwarb die »Berliner Viktoriamühle AG« die Mühle, später die »Schüttmühle Berlin AG«. Bis zur Stilllegung im September 1988 wurden täglich in drei Schichten 350 Tonnen Getreide gemahlen und damit die Hälfte des West-Berliner Getreidebedarfs gedeckt. Anschließend baute ein Investor die Mühlengebäude in ein Hotel um, das 2009 in eine Rehabilitationsklinik umgewandelt wurde.
Klaus Schlickeiser