Der Tegeler Hafen

Als 1906 der Bau des Hohenzollernkanals als »Großschiffahrtsweg Berlin-Stettin« begann und gleichzeitig der Kreis Niederbarnim, dem Tegel angehörte, den Bau einer Industriebahn von Tegel durch die Vororte nördlich von Berlin bis Friedrichsfelde plante, entschloss sich die Tegeler Gemeindeverwaltung, zugunsten der Entwicklung des Ortes einen Teil des zu erwartenden vermehrten Schiffsverkehrs in den Ort Tegel zu ziehen. Hier sollte eine Umlademöglichkeit von den Schiff en auf die Industriebahn geschaff en werden, weil mit einer starken Ansiedlung von Industriebetrieben im Bereich der neuen Industriebahnstrecke zu rechnen war.

1907 beschloss die Tegeler Gemeindevertretung, bei der Fließmündung einen großen Hafen anzulegen sowie das Land für den Hafen und die Industriestraße anzukaufen, was anschließend mit Hilfe einer Darlehensaufnahme geschah. Die Arbeiten gingen schnell voran.

Das von der Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem Kreis Niederbarnim nach Planung des Kreisbaurats Mirau angelegte Hafenbecken erhielt eine Länge von 556 m sowie eine Breite von 38 m am See und 62,50 m am östlichen Ende. Die Wassertiefe betrug 2,70 m. Die Kaimauern boten gleichzeitig 20 Lastschiff en (Frachtkähnen) bis zu 600 t Ladegewicht Platz zum Entladen. Auf der Nordseite des Beckens, auf der sich der Güterbahnhof der gleichzeitig angelegten Industriebahn befand, war der Umschlag von Stückgütern und Erzen für die Industrie vorgesehen, so dass hier drei elektrisch betriebene Portalkräne von 2,5 und 5,3 t Tragfähigkeit aufgestellt wurden. Der Güterschuppen der Industriebahn bot allerdings nur 100 m² Laderaumfläche.

Auf der Südseite des Beckens war lediglich ein Kran mit 6 t Tragfähigkeit zum Entladen vorhanden, denn hier wurden hauptsächlich Ziegelsteine für die Nordberliner Bautätigkeit angelandet, die aus den Lastschiff en nicht mit Hilfe eines Krans, sondern von Hafenarbeitern mit den Händen unter Benutzung von Schubkarren entladen wurde.

Die die Ziegelsteine weiterbefördernden Lastwagen – damals noch von Pferden gezogen – wurden vor und nach der Beladung auf einer Fahrzeugwaage gewogen, um das Ladegewicht für die Berechnung der Hafenbenutzungsgebühr zu ermitteln. Das Waagehaus und eine Kantine für die Mitarbeiter standen etwa in der Mitte der längs neben der südlichen Kaimauer verlaufenden Ladestraße. Der hiesige Kran wurde nur für die Entladung kleiner Stückgüter benötigt. Wenn im Winter der Ladeverkehr ruhte, konnten sogar 30 Kähne im Hafen zum Überwintern aufgenommen werden.

Der Kreis Niederbarnim, der mit seiner Industriebahn den nördlichen Hafenbereich nutzte, beteiligte sich mit 350.000 Mark am Hafenbau. Die Gemeinde Tegel nahm auch für die Bauarbeiten ein Darlehen auf. Am 31. Oktober 1908 wurde der Hafen zusammen mit der Industriebahn und der Hafenbrücke feierlich eingeweiht. Im April 1911 löschten 162 Schiff e 42.000 t Ladung. Bis zu 14 Lastkräne liefen täglich im Hafen ein.

1934 wurden im ganzen Jahr 685 am südlichen und 233 am nördlichen Kai anlaufende Lastschiff e gezählt. In den letzten fünf Monaten des Jahres 1935 wurden 10 Millionen Mauersteine für den Wohnhausbau von Heiligensee bis Schildow ausgeladen.

Nach 1945 wurde der Hafen bedeutungslos. Auf der Landstraße am südlichen Kai lagerte der Senat von Berlin in off enen Halden 21.000 t Steinkohle für den Fall einer erneuten Blockade von West-Berlin. Im April 1970 legte man den Hafen wegen mangelnder Rentabilität still. Nur die Güterverladestelle der Industriebahn bestand ohne eigentlichen Hafenbetrieb bis 1980. Das Hafenbecken wurde 1987 auf der Ostsseite durch ein Flachwasserbecken mit einer künstlichen Insel erweitert.

Zum Hafen gehörte seit 1908 die Hafenbrücke, für deren Überquerung jeder Fußgänger in den ersten Jahren 5 Pfennig, also einen »Sechser« (einschließlich des Rückweges), zu zahlen hatte, so dass die Brücke »Sechserbrücke « genannt wurde. Sie ist 87 m lang und überquert mit 63,7 m Spannweite das Hafenbecken und mit einem gemauerten Bogen das parallel verlaufende Fließ. Die beiden heutigen Pavillons an der Treppe wurde  erst 1921 fertiggestellt.

Gerhard Völzmann