Das neue Tegel-Center

Haben Sie sich nicht auch über die Nachricht gefreut, dass das Tegel-Center saniert werden soll? Und gejubelt, als es hieß: Karstadt baut seit dreißig Jahren das erste neue Kaufhaus – in Tegel! Aber dann schien die geliebte Markthalle in Gefahr, und Tausende unterschrieben „Rettet die Markthalle!“ Wenig Konkretes war zu erfahren, nur Gerüchte machten die Runde.

Endlich rief der Bürgermeister zu einer Informationsveranstaltung in die Humboldt-Bibliothek. Sogar den Investor hatte er mitgebracht. Was der zur Zukunft des Tegel-Centers zu sagen hatte, interessierte über 300 Menschen.

Harald Huth bekannte, in Tegel nicht noch eine der üblichen Einkaufszentren zu schaffen. Er hätte die Herausforderung angenommen, eine in die Jahre gekommene Fußgängerzone mit Fünfzigerjahre-Schick zu revitalisieren. Da ging mancher Zuhörerin schon mal das Herz auf. Immerhin war ja seit Monaten bekannt, dass Harald Huth – überrascht vom Bürgerwillen zu Gunsten der Markthalle – diese nun doch erhalten wollte. Dann zeigte „Big Harald“, wie er in Branchenkreisen genannt wird und als solcher gleichzeitig gefürchtet ist, schöne Fassadenbilder der Neubauten an der Fußgängerzone Gorkistraße: Viel Glas, also Transparenz, viel tiefer Naturstein – teuer, kein billiger Putz, der nach wenigen Jahren veralgt und hässlich aussieht. Das hört man gern als Tegeler: Für euch ist mir das teuerste Material, der teuerste Architekt gerade gut genug! Schnell verstummt der innere Zweifler: Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld? Klar doch, Harald Huth hat im Zweifel auch noch arabische Investoren in der Hinterhand. Aber wollen die nicht Rendite sehen? Haben wir denn genug Geld in der Tasche, um Herrn Huths Renditeerwartungen nicht zu enttäuschen? Tegeler, löst eure Lebensversicherungen auf, und kauft im neuen Tegel-Center, damit die schicke Fassade abbezahlt wird!

Aber halt – da gibt es noch die „Hallen am Borsigturm“ – ein Einkaufszentrum, knapp eine Kilometer entfernt. Wird unser Geld für beide Zentren reichen – selbst mit aufgelösten Lebensversicherungen? Harald Huth: „Ich nehme den Wettbewerb an.“ Das kann man als Kampfansage an die Borsighallen verstehen. Den Media-Markt hat er von dort schon abgeworben. Und dann haben die Hallen ein weiteres Problem: Wenn das Multiplex-Kino nicht in neueste Technik und ansprechendes Mobiliar investiert, wird es weitere Kunden verlieren. Können sich die Hallen ohne Multiplex-Kino und ohne Media-Markt halten? Da sorgt sich nicht nur die dortige Verwaltung. Ohnehin wechseln die Hallen ständig den Besitzer, die offensichtlich kein langfristiges Anlageinteresse zeigen.

Bürgermeister Balzer ignorierte mit einem süffisanten Lächeln die Frage, ob er sich schon Gedanken über die Nachnutzung der Borsighallen gemacht hätte. Immerhin konnte der Leiter des bezirklichen Stadtplanungsamtes, Herr Helmuth-Paland, mit beruhigenden Zahlen aufwarten: Die Hallen, das neue Tegel-Center und die Läden der Berliner Straße kämen zusammen auf gut 60.000 Quadratmeter Verkaufsfläche; das wäre nicht überdimensioniert und im Übrigen mit der Senatsverwaltung abgestimmt. Da fällt dem geschichtsbewussten Zuhörer ein anderes Tegeler Großprojekt ein: Vor gut hundert Jahren waren auch Hafen und Industriebahn ein scheinbar sicheres Projekt – geplant für eine Industrieansiedlung im Norden der expandierenden Reichshauptstadt. Vom Hafen ist noch der Name geblieben, von der Industriebahn hier und da ein Stückchen Gleis in wuchernder Wildnis – Investruinen. Aber es gibt auch ein Gegenbeispiel: Ohne Wagemut wäre die Bebauung des Borsiggeländes in den Neunzigerjahren nicht gelungen!

Merkwürdigerweise verschwieg die ausführliche Berichterstattung des „Tagesspiegels“ zwei weitere neuralgische Punkte. Für die beiden großen Parkflächen (wie bisher an der Bernstorffstraße und an der Grußdorfstraße, allerdings mit reduzierter Parkplatzzahl) wird es nur noch eine Zufahrt geben, in der Grußdorfstraße! Da gruselt es nicht nur Anwohner. Aber der Bürgermeister berief sich auf ein Gutachten, das der Investor in Auftrag gegeben und seine Verwaltung für plausibel befunden hatte. Alles kein Problem, meinte Herr Balzer, man müsste nur die Zweite-Reihe-Parker konsequent vertreiben. Und, das gestand Herr Balzer zu, das Problem der Fahrradparkplätze müsste noch gelöst werden, vielleicht mit einem Fahrrad-Parkhaus am S-Bahnhof, schließlich sollte die Fußgängerzone keine Fahrrad-Parkplatz-Zone werden.

Gegen Ende der Veranstaltung ließ Herr Huth mit wenigen Worten eine Bombe platzen: Die Standbetreiber würde er zu gleicher Pacht übernehmen. Erstauntes, erleichtertes bis beifälliges Gemurmel. Man wird Herrn Huth nicht direkt der Lüge bezichtigen können. Für die Bauphase mag seine Aussage ja gelten, aber danach? Haben denn schon etliche Standbetreiber die Segel gestrichen, weil ihnen die Tegeler Kundschaft nicht mehr gefällt? Nein, ihnen lagen Harald Huths Angebote für die Zeit nach der Bauphase vor, mit teilweise deftigen Preissteigerungen. Sie geben auf, weil sie wissen: Die geforderte Pacht werden sie nicht aus ihrem Umsatz erwirtschaften können.

Trotz eloquenten Auftritts des Investors bleiben also Zweifel:

  •     Warum wurde ohne Not die Zufahrt zur Parkfläche in der Bernstorffstraße aufgegeben?
  •     Ist das schicke Projekt mit neuer Fassade die Vertreibung etlicher angestammter Standpächter wert?
  •     Wird das große Tegeler Einkaufsparadies inklusive der Berliner Straße und der Borsighallen einen generellen Einbruch im Binnenkonsum, zum Beispiel im Gefolge einer zyklischen Krise, überleben? Sicher ein Risiko der großen Center gegenüber vielen kleinen Händlern.

Meinhard Schröder,  11.01.17