Über die Errichtung eines Eiswerkes am Tegeler See berichtete erstmals die Vorort-Zeitung in ihrer Ausgabe Nr. 4 v. 06.01.1894 wie folgt:

Tegel. Infolge der Regierungsverordnung vom 25. Oktober v. J. sind die Gewässer des Elb- und Havelgebiets für verseucht erklärt. Eine Ausnahme davon bildet der höher gelegene Tegeler See. Zwei Brauereien haben sich diesen Umstand zu Nutze gemacht, indem sie auf einem 4 ½ Morgen umfassenden Gelände einen massiven Schuppen aufführten, der 600000 Zentner Eis fassen soll. Dies Gebäude, an dem 200 Maurer unablässig gearbeitet haben, ist mit Beendigung des alten Jahres fertiggestellt worden. Vier durch Dampfkraft getriebene Schleppwerke befördern jetzt täglich 300000 Zentner Eis in das Bauwerk. Das Eis soll nicht blos den Brauereien, sondern auch der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden.

Hierzu ist zu bemerken, dass im ausgehenden 19. Jahrhundert Gastwirte, Lebensmittelhändler und wenige Haushalte Natureis zur Kühlung von Lebensmitteln benutzten. Das Eis wurde – soweit möglich – in Kellern und Schuppen bevorratet und in Eisspinden sowie Eisschränken genutzt. Das in weißen, gegen Wärme isolierten Pferdewagen in Stangenform gelieferte Eis musste zerkleinert werden, wenn es in die Spinde oder Schränke gefüllt wurde. Hierfür standen Eismühlen oder Eisspalter zur Verfügung.

Kehren wir damit zu den Crystall-Eiswerken zurück. Sie gehörten zunächst der Brauerei Germania, die sich im Besitz von David & Martin, Berlin O, Frankfurter Allee 53 befand. Das Natureis wurde zur entsprechenden Jahreszeit aus dem Tegeler See gewonnen, indem es zunächst gefegt und geglättet wurde. Wenn es nur galt, geringe Ansprüche zu befriedigen, dann wurden einfach nur Eisbrocken losgeschlagen und auf einem Pferdewagen abtransportiert. Bestand größerer Bedarf, wie dies bei den Tegeler Eiswerken der Fall war, so wurden Eisplatten mit Fuchsschwanzsägen (später auch mit Motor-Kreissägen) abgetrennt und floßartig mit Stangen vorwärts gestakt. Über den Eiswerkkanal gelangten die Eisschollen auf schrägen Rampen mittels Transportbänder in das Gebäude. Das hier eingelagerte Eis konnte durch Isoliermaterial bis in den Sommer hinein aufbewahrt und vertrieben werden. Eine Verkaufsstelle für das Natureis befand sich im sogenannten Mehlhaus, Berlin C, Cantianplatz /Am Kupfergraben.

Die Crystall-Eiswerke erhielten 1894 einen Anbau für Personalwohnungen. Zudem wurde der Bodenraum für Geräte sowie für eine Kutscherkammer hergerichtet. 1896 erwarben Fournier & Gaertner aus Berlin S, Lachmannstraße 2, das Werk. Hugo Fournier war zu dieser Zeit Kaufmann und Eigentümer des Wohnhauses in der Lachmannstraße. Während der Name Gaertner nachfolgend in Unterlagen nicht mehr genannt wurde, ließ Fournier 1898/99 gleich neben den Eiswerken das Restaurant Strandschloss mit einem Turm errichten, der zu einem Wahrzeichen von Tegel wurde.

Als am 21.06.1906 der Turm des Restaurants brannte, griff das Feuer auch auf den Eisschuppen über und zerstörte diesen. Die Gemeinde Tegel genehmigte die Errichtung eines Neubaus, der in massiver Bauweise ausgeführt wurde.

Um 1910, Fournier war weiterhin Eigentümer der Eiswerke, war Karl Lucht als Verwalter und Eiswerkinspektor tätig. Zugleich wird ein W. Lucht als Eishändler mit der Anschrift Uferstraße 1/2 (Strandschloss) genannt. 1914 und 1915 hatten die Crystall-Werke Tegeler-See offenbar die Rechtsform einer GmbH. Als Eigentümer wurde weiter Fournier und als Verwalter K. Lucht aufgeführt.

1916 lautete dann ein Eintrag im Adressbuch: Kristalleiswerke, Administration, Verwalter Karl Lucht, Eiswerkbesitzer. Nun war also Lucht der Eigentümer der Eiswerke. Ab 1917 wurde Karl Lucht zusätzlich als Eispächter bezeichnet. Im Gebäude des Restaurants Strandschloss waren zudem W. Lucht und W. Schulz als Eishändler tätig. Zumindest ab 1919 wurde als Grundstückseigentümer Uferstraße 1/2 die Gemeinde Tegel genannt. Vom Zeitpunkt der Eingemeindung zu Groß-Berlin (01.10.1920) war dann die Stadt Berlin Eigentümerin.

In den 1920er-Jahren verdrängten Kühlschränke und ganze Kühlanlagen immer mehr die Verwendung von Natureis. Dies hatte in Tegel zur Folge, dass die Räumlichkeiten des Eisschuppens ab 1925 durch Reinhold Wille, Besitzer eines Draht- und Eisenwerkes, nach Einrichtung von Büroräumen und einer Galerie als Ausstellungshallen am Tegeler See genutzt wurden. Fabrikant Wille wohnte in der Tegeler Hauptstraße 27 (heutiger Straßenname Alt-Tegel).

Um 1929 erfolgte ein erneuter Umbau zu einem Bootshaus, das der Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold betrieb. 1934 zog hier als neuer Mieter der Völkische Wassersportverein, Gruppe Tegel, ein, der die Anlage 1939 als Eigentümer von der Stadt Berlin übernahm. Das Gebäude wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört. Ab 1948 mietete der Omnibusunternehmer Schneider (»Schneiderbus«) das Gelände, um hier Unterstell- und Wartungsmöglichkeiten für seine Fahrzeuge zu schaff en. Heute erinnert nur noch ein Teil des einstigen Eiswerkkanals, im Sommer durch eine Bootsvermietung genutzt, daran, dass sich hier einmal Eiswerke befanden.

Gerhard Völzmann

Kalenderblatt Februar 2011 >